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Bärgida-Kundgebung Ende Oktober in Berlin - unter den Anhängern auch viele bekannte militante Neonazis, NPD-Mitglieder und Hooligans sowie Mitglieder von AfD und "Pro Deutschland".

© imago/Christian Ditsch

Nur 27 islamfeindliche Aufmärsche?: Linksfraktion wirft Bundesregierung Willkür vor

Die Bundesregierung legt neue Zahlen zu islamfeindlichen Kundgebungen vor - aus Sicht der Linksfraktion geht sie bei der Einstufung der Aufmärsche willkürlich vor.

Von Matthias Meisner

Es ist eine Routineanfrage. Regelmäßig verlangt die Linksfraktion von der Bundesregierung Auskünfte zu islam- beziehungsweise muslimfeindlichen Demonstrationen. Eingerechnet werden sollen dabei auch die Proteste gegen eine angebliche drohende Islamisierung Europas oder den Bau von Moscheen in Deutschland.

Nun liegt die Antwort der Bundesregierung für das dritte Quartal vor: Eine Kundgebung mit "dezidiert islamfeindlichem Motto rechtsextremistischer Organisationen" habe es in den Monaten Juli bis September gegeben, daneben 26 Kundgebungen gegen eine vermeintliche Islamisierung, "bei denen eine rechtsextremistische Einflussnahme beziehungsweise Steuerung in unterschiedlicher Ausprägung erkennbar war".

Aufgelistet ist in der Aufstellung eine Kundgebung der rechtsextremistischen Partei "Pro NRW", bei der unter dem Motto "Hasta la vista Salafista - islamischen Extremismus bekämpfen" am 19. Juli in Hagen 110 Menschen demonstrierten. Die anderen Kundgebungen betreffen Ableger der Pegida-Bewegung - mehrere Magida-Demonstrationen in Magdeburg, Bärgida-Veranstaltungen in Berlin sowie allein zehn Kundgebungen von Thügida in verschiedenen Städten Thüringens, die größte mit 650 Teilnehmern am 20. August in Suhl. Neben der Veranstaltung in Hagen ist als einzige Versammlung im Westen ein Dügida-Aufmarsch am 18. September in Düsseldorf erwähnt.

Die Linken-Innenpolitikerin Ulla Jelpke, die die Anfrage gestellt hat, ist mit den Auskünften der Bundesregierung nicht zufrieden. "Ob ein Pegida-Ableger in der Auflistung islamfeindlicher Aufmärsche registriert wird, hängt offenbar vom Zufall oder der Laune der jeweiligen Landesämter für Verfassungsschutz ab", sagte sie dem Tagesspiegel. So fehlten die Pegida-Großaufmärsche in Dresden ebenso in der Liste "wie die eindeutig aus der rechten Ecke gesteuerten Legida-Aufmärsche in Leipzig, weil der sächsische Verfassungsschutz hier angeblich keine Islamfeindlichkeit erkennen kann". Eine solche "Willkür der Einstufung" müsse beendet werden.

Notwendig seien einheitliche bundesweite Kriterien zur Erfassung islamfeindlicher Aufmärsche ebenso wie antimuslimisch motivierter Straftaten, sagte die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion weiter. "Im Themenfeldkatalog der Hasskriminalität muss es endlich eine Kategorie Islam- und Muslimfeindlichkeit geben, wie es im Falle des Antisemitismus längst geschehen ist, um das ganze Ausmaß und Gewicht derartiger Straftaten deutlich zu machen."

Erst am Dienstag war eine Statistik der Bundesregierung zu Straftaten bei der Gida-Bewegung bekannt geworden - es waren demnach 940 in einem Jahr. Auch hier haben die Behörden nach Darstellung der Linksfraktion, die die Anfrage dazu gestellt hatte, wichtige Informationen unterschlagen. Die Linken-Abgeordnete Martina Renner sagte: "Übergriffe auf Journalisten, Gegendemonstranten und migrantisch aussehende Menschen, die auch nur zufällig in der Nähe solcher Veranstaltungen sind, werden komplett unterschlagen." Vor allem den Behörden in Sachsen warf die Linken-Politikerin ein "erhebliches Wahrnehmungsdefizit" vor.

DJV: Übergriffe auf Journalisten melden

Der Deutsche Journalistenverband (DJV) forderte am Mittwoch dazu auf, Übergriffe gegen Journalisten bei den Demonstrationen von Pegida und ihren Ablegern zu melden. "Ehrlich gesagt: Wir haben nicht geglaubt, dass aus den Pöbeleien gegen Berichterstatter bei Pegida Anfang des Jahres mal eine Situation entstehen könnte, die Prügel gegen Journalisten salonfähig machen könnte", schrieb Verbandssprecher Hendrik Zörner im DJV-Blog. "Aber so ist es gekommen: Im Herbst 2015 haben wir in bestimmten Städten zu bestimmten Zeiten No-go-Areas für Journalisten." In dem Aufruf heißt es weiter: "Melden Sie sich beim DJV, wenn Sie Opfer von Gewalt werden! Sagen Sie uns Bescheid, wenn Sie durch Drohungen an der freien Berichterstattung gehindert werden!"

Amadeu-Antonio-Stiftung warnt vor Verschwörungsideologen

Die Berliner Amadeu-Antonio-Stitftung warnte am Mittwoch auch unter Hinweis auf die Kundgebungen von Pegida und Ablegern vor einer Ausbreitung von Verschwörungsideologien in Deutschland und Europa. Wie weit Verschwörungsideologien meist mit antisemitischem Hintergrund in der Gesellschaft verbreitet sind, zeige sich im Internet, sagte der Politikwissenschaftler Jan Rathje bei der Präsentation einer Aufklärungsbroschüre der Stiftung. Darin setzt sich Rathje mit den Hintergründen von Verschwörungsideologien, ihren Auswirkungen, den geschichtlichen Traditionen, ihrer Konjunktur durch die sozialen Netzwerke und mit Gegenstrategien auseinander. Er forderte Akteure und Verbände zur strikten Abgrenzung von Verschwörungsideologen, der Offenlegung von menschenfeindlichen Inhalten sowie einer "sozialen Ächtung" auf. Nach Einschätzung des Autors sind praktisch alle Verschwörungsideologien, egal ob von rechts oder links, letztendlich antisemitisch. Die "jüdische Weltverschwörung" spiele immer eine herausragende Rolle.

"Die Stammtische sind mit dem Internet einfach größer geworden", erklärte der Autor. Zur Begründung für eine, aus Sicht der Stiftung dringend notwendige Auseinandersetzung mit Verschwörungsideologien, verweist die Stiftung neben Pegida und ihren Ablegern auch auf die vielen regionalen Anti-Asyl-Initiativen oder die Montagsmahnwachen.

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