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Politik: Nur der Frieden kann Probleme lösen (Leitartikel)

Pazifisten haben doch Recht: Kriege lösen keine Probleme. Vor einem Jahr, am Abend des 23.

Pazifisten haben doch Recht: Kriege lösen keine Probleme. Vor einem Jahr, am Abend des 23. März, gab die Nato den Einsatzbefehl für die Luftangriffe gegen Serbien. Zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg flogen auch deutsche Soldaten wieder Kampfeinsätze. Die folgenden Wochen wurden zu einem Trauma für die Menschen in Serbien und zu einer schweren Belastung für die westlichen Gesellschaften: Abend für Abend Bilder von Tod und Zerstörung, weinende Gesichter, endlose Flüchtlingsströme. Die selbstgewissen Beschwörungen, hier werde erstmals ein Krieg im Namen der Menschenrechte geführt, wurden leiser, je länger die ersehnte Botschaft auf sich warten ließ: dass der serbische Diktator Milosevic nachgibt. Als sie schließlich kam, Anfang Juni, nach elf quälenden Wochen, war die Erleichterung groß. Doch wenig später wurde aus den starken Emotionen weitgehendes Desinteresse.

Zwölf Monate nach dem Beginn der blutigen Intervention ist der Frieden kaum näher gerückt. Im Gegenteil, neue Kämpfe drohen: im Kosovo, vor allem in Mitrovica; nun auch in Serbien, in den Albanergebieten im Süden; und in Montenegro, dessen Abspaltung Milosevic nicht hinnehmen will. Nach dem Krieg ist vor dem Krieg: auf Kroatien folgte Bosnien, auf Bosnien Kosovo - und kein Ende in Sicht? Die Niederlage übt offenbar keine dauerhafte Abschreckung auf den Diktator aus. Sie hat ihn auch nicht die Macht gekostet. Die Opposition in Serbien bleibt schwach, die Demokratie fern. Das Kosovo ist zwar unter Kontrolle der internationalen Friedenstruppe Kfor. Aber die Bereitschaft der Serben und Albaner, in Frieden miteinander zu leben, hat das nicht befördert. Auch heute werden Menschen gewaltsam aus ihren Heimatorten vertrieben. Und würde in diesem Jahr noch gewählt, dann dürften - wie seinerzeit in Bosnien - die nationalen Scharfmacher triumphieren. Kann da der Westen überhaupt von einem Erfolg sprechen?

Diese ernüchternde Bilanz wirkt zunächst überzeugender als alles, was man ihr entgegenhalten kann. Sie ist nachprüfbar, die Gegenrechnung hingegen hypothetisch: Wie sähe der Balkan heute aus, wenn die Nato Milosevic hätte gewähren lassen? Das Kosovo vermutlich in weiten Teilen albanerfrei, Mazedonien und Albanien mit in den Krieg hineingezogen, Rumänien und Bulgarien noch weiter zurückgeworfen bei ihrem Versuch, Anschluss an die Reformstaaten im früheren Ostblock zu finden, die ganze Region destabilisiert und Zehntausende, vielleicht Hunderttausende Flüchtlinge auf dem Weg nach Westeuropa. Das schlimme Beispiel hätte zudem Nachahmer ermuntert, wären Vertreibung und Landraub straffrei geblieben.

Doch halt - diesen belegbaren Erfolg darf die Nato sich zurechnen: Sie hat Milosevics Vernichtungsfeldzug im Kosovo gestoppt und Hunderttausenden Vertriebenen die Rückkehr ermöglicht. Kann man von einem Krieg mehr erwarten? Darf man der Nato anlasten, dass ihre Luftangriffe viele andere Probleme nicht gelöst und schon gar nicht die Wurzel des Konflikts beseitigt haben? Und dass nun die Falschen gestärkt sind: nicht die versöhnungsbereiten Kräfte, sondern unter den Albanern die Befreiungsarmee UCK, die die Nato in ihrem Kampf für ein Großalbanien zu ihrer Luftwaffe machen möchte? Selbst Kriege, deren Berechtigung unumstritten ist, hatten höchst ungerechte Folgen: Die Alliierten stoppten Hitler und den Holocaust, aber das Ende des Zweiten Weltkriegs lieferte halb Europa der stalinistischen Diktatur aus.

Nein, von einem Krieg darf man nicht erwarten, dass er Probleme löst. Aber vom Frieden. Wenn die Waffen schweigen, bekommt die Politik wieder ihre Chance. Viel Geduld, aufopferndes Engagement und beträchtliche Investitionen sind nötig, um die Probleme zu beseitigen, die schon vor dem Krieg bestanden - und dazu jene, die die Kämpfe noch hinzugefügt hat. Der Westen hat die Häuser im Kosovo wieder aufgebaut, hat Straßen und Brücken repariert. Aber jetzt erlahmen seine Kräfte - oder zumindest seine Aufmerksamkeit. Die wachsenden Spannungen in der Region sind ein Warnzeichen. Seit Monaten fordert die Übergangsverwaltung zusätzliche Polizisten an, aber Europa schickt sie nicht. Der Westen hatte die Kraft, den Krieg zu gewinnen. Verspielt er den Frieden?

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