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Politik: Nur in Berlin sind die diplomatischen nordischen Vertretungen auf einem Areal vereint

1997 feierten die fünf nordischen Staatsoberhäupter samt ihrer Regierungschefs im schwedischen Kalmar die 600jährige Wiederkehr jenes Zusammenschlusses der damals drei nordischen Reiche, die als "Kalmarer Union" in die Geschichte eingegangen ist. Die dänische Königin, die seinerzeit die Einheit mit allen politischen und dynastischen Mitteln betrieben hatte, trug den gleichen Namen, wie die derzeitige: Margrete.

1997 feierten die fünf nordischen Staatsoberhäupter samt ihrer Regierungschefs im schwedischen Kalmar die 600jährige Wiederkehr jenes Zusammenschlusses der damals drei nordischen Reiche, die als "Kalmarer Union" in die Geschichte eingegangen ist. Die dänische Königin, die seinerzeit die Einheit mit allen politischen und dynastischen Mitteln betrieben hatte, trug den gleichen Namen, wie die derzeitige: Margrete.

Fast zeitgleich mit dem Staatsereignis vor nunmehr zwei Jahren stachen die fünf nordischen Botschafter in Berlin-Tiergarten den ersten Spaten für ein gemeinsames Botschaftsgebäude in den Sand. Auch an diesem Ort spielte die Symbolik eine große Rolle: Der Spaten hatte fünf Griffe und ein Blatt, die Botschafter langten gemeinsam hin - das Instrument war bedeutungsschwer, nur etwas unpraktisch, wie es der praktizierte Nordismus immer gewesen ist.

Die "Kalmarer Union" hielt nicht lange, sie ging in Aufständen und in machtpolitischen Rankünen unter. Zu ihrem Ende, das 1523 offiziell und endgültig besiegelt wurde, kamen entscheidende Impulse aus dem deutschen Raum hinzu: So hatten die politischen Wirren der lutherischen Reformation auch auf den Norden übergegriffen, nicht zuletzt aber war es hansisches Geld aus Lübeck, das den schwedischen Freiheitswillen finanziert hatte - handfeste ökonomische, politische und kulturelle Interessen waren also im Spiel.

Der Traum von der politischen Einheit

Die politische Einheit ging im 16. Jahrhundert verloren, mächtige Einzelreiche entstanden im Norden, Dänemark noch deutlicher aber Schweden wurden zu europäischen Großmächten, bis der Nationalismus des 19. Jahrhunderts auch im Norden den modernen Nationalstaat hervorbrachte. Insbesondere, dass zwei Nationalisierungsbewegungen im vorigen Jahrhundert zu erfolgreichen Unionen führten - die italienische und die deutsche - beflügelte auch die Studenten, Literaten und schließlich die Politiker im Norden: Der zunächst literarische, dann politische "Skandinavismus" wurde zu einer bestimmenden politischen Idee, die über Jahrzehnte die öffentliche Debatte und die Politik prägte - bis der "Skandinavismus" im preußisch-deutsch-dänischen Krieg von 1864, dessen Berliner Berichterstatter Theodor Fontane war, zu Grabe getragen wurde.

Der schwedische Theologe, Historiker und Philosoph Erik Gustaf Geijer hatte im 19. Jahrhundert bei seinem Durchgang der Geschichte der "Kalmarer Union" die Formulierung gefunden: Dieses sei eine Tat gewesen, die ein Gedanke hätte sein können - die verpasste Einheitsgeschichte des vorigen Jahrhunderts bestätigt sein Urteil.

Die Berliner Einheit des Nordens

Dass die fünf nordischen Staaten ausgerechnet in Berlin wieder zu einer Einheit gefunden haben, entbehrt vor diesem historischen Hintergrund nicht der tiefen politischen Symbolik: Nirgendwo sonst auf der Welt sind die diplomatischen nordischen Vertretungen auf einem Grundstück vereint; nirgendwo sonst hat man die erklärte Absicht, die konsularischen und die kulturellen Angelegenheiten gemeinsam zu besorgen. Es stehen hier fünf Botschaften und ein gemeinsames Empfangs- und Kanzleigebäude mit einem Vortragssaal auf relativ engem Raum zusammen, umfasst von einem vier Stockwerke hohen grünen Kupferband, das den Eindruck der Geschlossenheit und Einheit noch verstärkt.

Was sich aufgrund der bisherigen Reaktionen auf die geeinte Präsenz des Nordens in Berlin bereits erkennen lässt: Die schiere Symbolik zeitigt schon ihre diplomatischen und politischen Folgen. Die nordischen Länder mit ihrer jeweiligen Größe von vier bis acht Millionen Einwohnern sind in Berlin nicht wie kleine Länder präsent, sondern wie eine mittlere Großmacht. Die ihnen gegenüber offenbare politische und öffentliche Aufmerksamkeit ist Folge der gemeinsamen Repräsentanz.

Das Auftreten der nordischen Länder im geeinten Deutschland ist allerdings nicht nur in symbolischer Hinsicht von neuer Qualität. Es belegt auch ein neues politisches Selbstbewusstsein und zugleich ist eine neue politische Strategie zu erkennen, mit der auf die veränderten politischen Rahmenbedingungen in Europa reagiert wird.

In der zweiten Jahreshälfte 1999 hat Finnland die Ratspräsidentschaft in der Europäischen Union inne. Das Land, seine Politiker, die Diplomaten hatten schwere Aufgaben zu schultern - nicht zuletzt diejenige, wie eine größer und heterogener gewordene EU sich aufgrund der Begleitumstände und Folgen des Kosovo-Krieges erheblicher innerer und äußerer Veränderungen gegenüber gestellt sieht, aber auch, weil Finnland das einzige EU-Land ist, das eine gemeinsame Grenze mit Russland hat. Diese Tatsache war schließlich auch der Grund, weshalb Finnland nach dem Fall der Berliner Mauer die Mitgliedschaft in der EU gesucht hatte: Die finnisch-russische Grenze sollte eine europäische werden.

Die "nördliche Dimension"

Mit der finnischen Ratspräsidentschaft wird eine neue Politik formuliert und ein neuer Begriff in Umlauf gesetzt. Denn seit 1997 hat Finnland mit dem Begriff und der Strategie der "nördlichen Dimension" der europäischen Politik gleichsam eine neue Münze in den Ring geworfen. Damit ist viel mehr gemeint als ein Gegengewicht zur südlichen, zur mediteranen Dimension der Gemeinschaft, die seit langem eine feste und sehr teure Dimension für die Union ist.

Hinter dem neuen Begriff steht eine politische Strategie, die mittlerweile von allen nordischen Ländern gestützt wird und mit der Hoffnung auf eine weitere Abstimmung verbunden ist, wenn nicht mit weiterer Integration und Regionalisierung der Politik im Norden. Es ist davon auszugehen, dass der Norden in den nächsten Jahren eine größere Rolle in Europa spielen wird.

"Nördlich" vs. "nordisch"

Das Konzept der "nördlichen Dimension" konnte sich nach dem Ende des Ost-West-Gegensatzes entwickeln, nach der Neudefinition politischer Räume, ja nach der Wiederentdeckung des politischen Raumes schlechthin. Der Wechsel von "nordisch" zu "nördlich" hat in erster Linie eine Erweiterung des politisch kulturellen Raumes zum Inhalt: Der Norden umgreift seit 1989 wieder die Region von Grönland über Island, die Färöer, Dänemark, Norwegen, Schweden und Finnland, nun auch Nordwestrussland, (mit dem Königsberg / Kaliningrad-Oblast)die baltischen Länder, Polen und die norddeutschen Länder. In dieser Region überlappen sich zahlreiche politische Organisationen (NATO, EU, WEU), hier sind die ergiebigsten Erz- und Energievorkommen Europas zu finden, hier kann man aber auch die gewaltigsten Umweltschäden lokalisieren.

Vor allem aber ist in der "nördlichen Dimension" Russland inbegriffen. In dieser Region überschneiden sich die zentralen Interessen und Probleme der europäischen Politik mit den russischen: Sicherheit, Umwelt, Energie, Verkehr. In dieser Region können die Weichen gestellt werden zu einer zukünftigen Zusammenarbeitspolitik mit Russland, zum Teil gibt es sie bereits. In dieser Region sind maßgebliche Wachstumszentren auszumachen: die Öresund-Region, Berlin, Warschau, St. Petersburg. Die Zahlen zum gewachsenen Handel machen bereits Staunen, und dass Finnland, Schweden und Norwegen die großen Produzenten und Wachstumsmärkte für den elektronischen Bedarf sind, ist längst kein Geheimnis mehr.

Der Begriff "Norden" ist als geographischer, vor allem aber als politischer Begriff eine Schöpfung des 20. Jahrhundert. Mit ihm wurde die Schwierigkeit überbrückt, dass Island und Finnland schlechterdings nicht zu Skandinavien gehören. Die Traditionslinie, die sich mit der Skandinavismus-Bewegung durch die politische und die Ideengeschichte des Nordens zieht, konnte mit dem Rekurs auf "den Norden" auch die beiden östlichen und westlichen Randländer umfassen.

Diese Definition ist aber nun gerade weder eine geographisch-räumlich eindeutige, noch liefert sie eine kulturelle, noch eine historisch und ökonomisch sinnvolle Raumbeschreibung. Und mit dem Fall der Berliner Mauer änderten sich alle räumlichen Zuordnungen - auch im Norden.

Wenn man sich auf die (Mes-)Alliance von Ökonomie und Kultur einlässt, dann macht es Sinn von einem räumlichen Konzept auszugehen, das Island, die skandinavischen Länder, Finnland, Nordwest-Russland, das Baltikum und die südlichen Ostsee-Anrainer umgreift. Nichts anderes meint die durch den finnischen Ministerpräsidenten Paavo Lipponen seit 1997 propagierte "nördliche Dimension". Sie bestimmt die finnische Präsidentschaft der Europäischen Union im zweiten Halbjahr 1999, und sie hat vor allem eines zum Ziel: Die Integration Russlands in die großen Linien der europäischen Politik.

"Nördlich" ist vor dem Hintergrund der unsäglichen Begriffsgeschichte des "Nordischen" endlich ein regionaler Begriff, dessen relative Neutralität ihn zu einem brauchbaren politischen Konzept macht und der deshalb von den Anrainer-Staaten bereits akzeptiert wurde, dies zumindest von den EU-Mitgliedsländern um die Ostsee. Dass er einen besonderen Akzent auch setzt in Relation zur "südlichen Dimension" der Union, den Staaten der Mittelmeer-Region, versteht sich von selbst, dies war sicherlich auch beabsichtigt und markiert nur zu deutlich das innereuropäische Konkurrenzverhältnis. Die "nördliche Dimension" demonstriert nach dem Systemgegensatz nun endlich das immer wieder angemahnte politische Selbstbewusstsein der "nördlichen" Länder, die ihre eigenen Interesse im europäischen Kontext artikulieren und durchsetzen wollen. Dass das Konzept ein integratives ist - insofern als Russland und die baltischen Staaten eingeschlossen sind -, macht den besonderen Reiz aus.

Die räumliche Gemeinsamkeit der nordischen Länder in Berlin hat vor diesem historischen und politischen Hintergrund nicht nur symbolische Bedeutung, sondern strahlt in die europäische Politik hinein - die Partner sollten es merken.Der Autor ist Direktor des Nordeuropa-Instituts der Humboldt-Universität zu Berlin.

Bernd Henningsen

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