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Politik: Nur kein Gedenken

Die arabische Welt sieht sich als Opfer der amerikanischen Politik – deshalb soll der 11. September ein Tag wie jeder andere sein

Von Andrea Nüsse, Amman

Die arabische Welt geht am ersten Jahrestag der Anschläge des 11. September ihrem Alltag nach. Der Direktflug der „Royal Jordanien“ von Amman nach New York am Morgen war ausgebucht. Der einzige Hinweis darauf, dass dies ein besonderer Tag ist, war die Aufforderung an die Fluggäste, mindestens drei Stunden vor Abflug einzutreffen. Während Iran seine Solidarität mit den Opfern des 11. September bekundete, schwiegen die arabischen Regierungen zu diesem Thema.

Auch in der arabischen Presse wird der Gedenktag niedrig gehängt. Leitartikel und einzelne Artikel zum Thema finden sich, aber keine Sonderseiten wie in der westlichen Presse. Die Aufmacher belegen, dass die arabische Welt ein Jahr nach dem 11. September mit den Auswirkungen der Ereignisse auf die Region, insbesondere in Palästina und Irak, befasst ist und weniger mit reiner Erinnerung. Die ägyptische Tageszeitung „Al-Ahram“ titelt mit „Washington fordert die Welt zum schnellen Handeln gegen Irak auf". Die libanesischen Zeitungen „Daily Star“ und „An-Nahar“ berichten über Israels Drohung, Libanon wegen der Umleitung des kleinen Hasbani-Flusses den Krieg zu erklären. Eine Ausnahme ist ein dreispaltiger Artikel in der „Jordan Times“ unten auf Seite eins: Darin wird an die beiden Jordanier erinnert, die im World Trade Center arbeiteten und bei den Anschlägen ums Leben kamen.

In Jordanien war zunächst für den 11. September eine Gerichtsverhandlung gegen 50 Islamisten geplant. Angeblich war bewusst dieses Datum gewählt worden, um dem Westen zu zeigen, dass man sich aktiv am Kampf gegen den Terror beteiligt. Kurzfristig wurde der Termin um zwei Tage vorverlegt. Beobachter gehen davon aus, dass dies mit Rücksicht auf die eigene Bevölkerung geschah. Sie hätte möglicherweise kein Verständnis für eine solche Demonstration der Solidarität gehabt. Dies hat weniger mit Anti-Amerikanismus zu tun, als damit, dass sich die arabische Welt mittlerweile selbst als Opfer der US-Politik seit dem 11. September sieht: Der geplante Krieg gegen den Irak, die amerikanische Rückendeckung für die israelische Position im Konflikt mit der palästinensischen Autonomiebehörde, die Diskriminierung von Arabern bei der Visa-Vergabe für die USA sind die Themen in der Region.

In Kommentaren wird zwar der verstärkte Unilateralismus der USA kritisiert. Aber anders als nach dem 11. September findet sich zum Jahrestag auch Kritik an der Aufarbeitung der Ereignisse in der arabischen Welt. So forderte der stellvertretende Chefredakteur der saudischen „Arab News“, Jamal Khashoggi, Saudi-Arabien müsse angesichts der 15 saudischen Attentäter über kollektive Verantwortung nachdenken. Es reiche nicht mehr aus, die jungen Männer als einzelne verwirrte Individuen darzustellen.

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