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Politik: Nur kein Wolkenkuckucksheim

Grüne lehnen Elterngeld und Kinderkarte ab / Parteitag warnt vor Einschränkung der Bürgerrechte

Von Matthias Meisner

Berlin - Vor den Autofahrern wollen sich die Wahlkämpfer der Grünen diesmal nicht mehr fürchten. Wenn jetzt die Sommerreisezeit richtig losgeht, will die Partei nach dem Willen ihres Wahlkampfchefs Fritz Kuhn auch den Menschen, die auf Deutschlands Straßen unterwegs sind, gezielt ihre Alternativen vorstellen. Beschlossen haben die Grünen dazu ein Programm, das auf Realitätssinn setzt und nun selbst am Rasthof vorzeigbar ist.

Konkret beim Thema Umwelt: Die Ökosteuer soll zwar weiterentwickelt werden, weitere Anhebungen der Benzinpreise fordern die Grünen indes nicht – unter Hinweis auf die hohen Ölpreise und den Tanktourismus. 1998 hatte ein Grünen-Parteitag in Magdeburg noch kurz vor einer Bundestagswahl die schrittweise Anhebung des Benzinpreises auf fünf Mark pro Liter gefordert.

Die Grünen dürften keine Politik nach dem Motto „Wolkenkuckucksheim“ machen, das hatten alle Spitzenpolitiker diesmal den 844 Delegierten ans Herz gelegt. Diesem Appell folgte die Basis in den Debatten am Wochenende. Zwar fordert die Partei einen Rechtsanspruch für eine Kinderbetreuung vom ersten Lebensjahr an und verlangt auch ein mittelfristig kostenloses Vorschuljahr. Doch andererseits lehnte sie die Einführung eines Elterngeldes und einer Kinderkarte in der Nacht zum Sonntag knapp ab. Das einkommensabhängige Elterngeld sollte es Frauen und Männern ermöglichen, im ersten Jahr nach der Geburt eines Kindes ihre Berufstätigkeit auszusetzen, ohne große finanzielle Einbußen hinnehmen zu müssen. Gegner hatten angeführt, dass Besserverdienende dadurch zusätzlich gefördert würden. Die Kinderkarte liegt Verbraucherministerin Renate Künast besonders am Herzen. Die Karte sollte armen Kindern zustehen und mit einem Betrag, etwa 20 Euro im Monat, geladen sein. Einlösen können ihn die Kinder beim Sportverein oder in der Musikschule. Künast geht es damit darum, benachteiligten Kindern mehr Chancen auf Teilhabe zu geben. Außerdem käme das Geld mit einer Kinderkarte direkt bei ihnen an und nicht bei ihren Eltern. Das überzeugte die Grünen aber nicht.

Maßvoll war der Parteitag zuvor auch in der Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik geblieben. Er verlangte zahlreiche Nachbesserungen der Hartz-Reformen, stellte das Regelwerk insgesamt aber nicht in Frage. Bei der gewünschten stärkeren Belastung der Besserverdienenden machte es sich die Partei einfach. Im 52 Seiten starken Wahlprogramm wird nun zwar die Erhöhung des Spitzensteuersatzes von 42 auf 45 Prozent gefordert. Konkrete Zahlen zu Kosten und Einnahmen sind im Programm aber nicht zu finden.

In der Diskussion um die Bürgerrechte mahnten mehrere Redner, nach dem Terror in London nicht unüberlegt auf Gesetzesverschärfungen zu setzen. Die Sicherheitsvorkehrungen in Deutschland müssten überprüft werden, sagte Parlamentsgeschäftsführer Volker Beck. Doch Eile lehnte er ab. Ebenso wie Vize-Fraktionschef Hans-Christian Ströbele: Er warf der Union den „schändlichen Versuch“ vor, „mit den berechtigten Ängsten der Menschen Wahlkampf zu machen“.

„Größtmögliche Geschlossenheit“ war das Ziel der Führung für den Kongress im Velodrom. Sehr entspannt konnte der frühere Parteivorsitzende Kuhn zum Ende hin berichten, wie nun der Wahlkampf starten soll. Schon im Sommer, noch bevor Joschka Fischer Mitte August auf Tour geht, wollen die Grünen im Lande überall präsent sein. Sie setzen dabei nicht auf die klassischen Abendveranstaltungen. Abholen wollen sie stattdessen Urlauber von Rügen bis zum Allgäu, dann etwa Ausflüge zum Biobauern organisieren und ihr Programm erklären. Berlin soll Schwerpunkt von „Wahlkampf-Events“ sein. In die Diskotheken der Hauptstadt wollen die Grünen ziehen, an der Oranienburger Straße in Mitte eine „Wähl-Bar“ eröffnen und einen 48-stündigen Wahlreden-Marathon organisieren. Kuhns Plan: „Es soll den Leuten Spaß machen.“

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