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Politik: Nur noch Ruinen und Geisterdörfer

PRIZREN .Die zwei ausgebrannten Häuser, eine Garage und ein Restaurant, stehen wie Fremdkörper im sonst intakten Ort.

PRIZREN .Die zwei ausgebrannten Häuser, eine Garage und ein Restaurant, stehen wie Fremdkörper im sonst intakten Ort.Die albanischen Besitzer, sagt einer der argwöhnischen Beobachter am Straßenrand, hätten die Häuser "sowieso von Serben abgekauft".Und ein solcher Handel ist im serbischen Apartheidsstaat nicht erlaubt.Im ersten Dorf nach der Einfahrt in den Kosovo sind die Serben in der Mehrheit."Hier leben nur Serben", sagt einer.Und das ist auch so, nachdem die einzigen Albaner im Ort vertrieben worden sind.Auf den Feldern bereiten die Bauern den Boden für die Aussaat vor.Einige pflügen mit dem Traktor, andere haben Ochsen vorgespannt.Es ist ein warmer Frühlingstag.Das Telefon funktioniere schon lange nicht mehr, und Strom gebe es nur stundenweise, klagt einer.Auch Speiseöl und Zucker sind aus den Läden verschwunden.Auf dem Dorfplatz stehen Reservisten in alter Armeeuniform und bewaffnete Zivilisten in Gruppen zusammen.Man schaut in den Himmel und berichtet von den letzten Angriffen der NATO auf ein Ziel hinter dem nächsten Hügel.

In den Dörfern mit der orthodoxen Kirche spielen die Kinder auf der Straße, dort wo das Minarett der Moschee in den blauen Himmel ragt, ist kein Mensch zu sehen: Später bei der Weiterfahrt links und rechts der Straße Rauchwolken über Albanerdörfern.Manchmal stehen nur noch Ruinen.Auf den Feldern und entlang der Höfe äst freigelassenes Vieh, und Hunde streunen im kleinen Rudel.In den Albanerdörfern sind die Schaufenster der Geschäfte eingeschlagen und die Waren ausgeräumt.An den Häusern, die noch stehen, sind die Läden verrammelt und die Vorhänge zugezogen, als wären die Bewohner verreist.In einem Dorf vor Gnjilane wartet eine verängstigte Gruppe von 150 bis 200 Albanern, vor allem Frauen und Kinder, am Straßenrand.Die Frauen halten die Kinder fest an sich gepreßt und die großen Taschen griffbereit.Am Horizont hinter dem Hügel behindert ein kilometerlanger Rauchvorhang den Blick.Auf der Hauptstraße Richtung Urosevac und weiter nach Prizren ist nur wenig Verkehr zu sehen.Zwei Busse kommen entgegen, in einem versperren Vorhänge den Blick.Im anderen stehen die Passagiere wie Sardinen eng zusammengedrängt.Wenig später sechs Fuhrwerke mit Pferden vorgespannt und vollgepackt mit Flüchtlingen auf einer Reise Richtung unbekanntes Ziel.Auf der Straße sind sonst nur Reservisten und Paramilitärs in bunt zusammengewürfelten Uniformen anzutreffen.Zu viert oder zu fünft sind sie im Privatfahrzeug, meist sind die Nummernschilder abmontiert, in schnellem Tempo unterwegs.Das Gewehr hält man zwischen den Knien fest.

Über Kilometer nur Bilder der Verwüstung und keine Hinweise auf Kämpfe.In der Region um Gnjilane konnten die bewaffneten Rebellen der "Kosovo-Befreiungsarmee" (UCK) nie Fuß fassen, und es sind auch keine Anschläge auf serbische Polizisten bekannt.Das serbische Projekt der ethnischen Säuberung scheint zumindest hier entlang der Grenze zu Mazedonien und Albanien weitgehend abgeschlossen.In der Kleinstadt sind beim ehemaligen Regionalbüro der "Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa" (OSZE) alle Scheiben mit gezielten Schüssen zerstört worden.In Gnjilane auch unübersehbare Spuren der NATO-Luftangriffe: Der Busbahnhof und die Kaserne am Ortsrand schauen aus wie nach einem schweren Sturm.

Die Uniformierten haben sich in den Albanerdörfern eingerichtet.Sie lagern auf den Balkonen beim Bier, im Hof vor dem Eingang oder in der örtlichen Schule.Die Armee nutzt die Geisterdörfer, um ihr Kriegsgerät vor den Blicken der NATO-Piloten zu schützen.Eng an die Hausmauern oder in den Höfen sind Mannschaftswagen geparkt.Entlang der Straßen wurden kleine Unterstände ausgehoben, mit Ästen vor Blicken aus dem Himmel geschützt.Man scheint sich sicher zu fühlen vor Luftangriffen.Im nächsten Albanerdorf sind serbische Zivilisten dabei, das Warenlager eines Geschäfts auszuräumen.Ein Getränkekanister nach dem anderen wird auf einen Kleinlaster mit orangfarbenem Plastikverdeck aufgeladen.

Ein ähnliches Bild auch in der Stadt am Ende der Reise.Kaum Zerstörungen, aber dafür eine mit deutlicher Botschaft: Ein Denkmal, das an die Geburtstunde der albanischen Nationalbewegung erinnerte, ist gesprengt worden.Prizren, früher pulsierende Heimat von Albanern, aber auch Türken oder Serben, erscheint menschenleer.Einst drängte man sich durch die engen Gassen der Altstadt oder saß an den Tischen in den Teehäusern des Bazars.Jetzt ist Prizren, früher für sein Klima der Toleranz bekannt, eine Geisterstadt."Es ist Krieg, und das ist schlecht für alle", sagt ein serbischer Arzt im Spital, in dem sich auch die Polizei eingenistet hat.Die Polizei ist überall, im Spital, aber auch in den Schulen hat sie sich einquartiert.Die Männer in den blauen Uniformen patrouillieren durch Straßen.Nur in einem Seitenweg ist noch etwas Leben.Vor drei Nächten, sagt eine Frau, die vorsichtig aus einem Haustor hervorschaut, habe die Polizei Albaner mit Bussen abtransportiert.Die Männer würden gebraucht, um Gräben auszuheben, wurde den Familien beschieden.Die Familien, verängstigt und besorgt, warten bisher vergeblich auf die Rückkehr ihrer Söhne und Väter.

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