zum Hauptinhalt

Politik: Nur wenige kommen durch

Ägyptens Präsident Mubarak will den Grenzübergang Rafah zum Gazastreifen nicht öffnen

Am Himmel ist das helle Röhren einer israelischen Drohne zu hören. Links stehen aufgereiht orangefarbene Krankenwagen des ägyptischen Gesundheits ministeriums. Rechts wienern Rekruten zwei weiß-rote Krankenbusse der Armee, die jeweils vier Verletzte aufnehmen können. Die Sanitäter in ihren grünen Uniformen stehen in Grüppchen zusammen, schwatzen und vertreten sich die Füße. Ihr Chef Emaddin Charbush, Direktor der Notfallrettung in Nordsinai, mustert rauchend den Hof des Grenzübergangs von Rafah, der den Gazastreifen mit Ägypten verbindet. Oder besser gesagt: verband. Seit Monaten sind die modernen Abfertigungsterminals praktisch menschenleer. Ägypten hält seine Grenze zu der übervölkerten palästinensischen Enklave genauso hermetisch abgeriegelt wie Israel. Etwas versteckt neben dem Gebäude stehen sechs dunkelgrüne Mannschaftswagen mit den gefürchteten Sondereinheiten des Innen ministeriums. In dem Duty Free Shop verstauben die letzten Stangen von Zigaretten der Marke „American Legend“. Hinter dem Schalter für Ausreisegebühren sitzt ein Kassierer vor einem leeren Tisch und hört versonnen Radio. Aus den offenen Türen des Wachpersonals schallt ab und zu ein Lachen.

Kurz vor zwölf Uhr mittags entsteht plötzlich Bewegung an den eisernen schwarzen Doppeltoren. Auf palästinensischer Seite ist ein Krankenwagen aufgetaucht – der erste an diesem Tag. Langsam rollt er durch die mit Stacheldrahtrollen gesäumte Einfahrt. Der Mann auf der Trage ist bewusstlos, als ihn vier ägyptische Sanitäter umbetten und in ihren Wagen schieben. Sein Kopf ist weiß umwickelt, Schläuche führen in den Mund, zwischen den Beinen liegt ein Atemgerät. Nidal Farrah, Arzt aus dem Europäischen Krankenhaus in Chan Junis, hat ihn hierherbegleitet. „Er hat eine Schusswunde am Kopf und braucht in den nächsten 24 Stunden eine Hirnoperation“, sagt er. „Dann hat er vielleicht noch eine Chance zu überleben.“

Sieben Tage herrscht jetzt Krieg vor der Haustür von Ägypten. Den Grenzstreifen, den alle hier Philadelphia nennen, haben israelische Kampfflugzeuge bereits mehrfach bombardiert, um Schmuggeltunnel zu zerstören. Mehr als 400 Menschen wurden in Gaza seit Kriegsbeginn am letzten Samstag getötet und mehr als 2100 verletzt, doch jeden Tag kommen nur etwa zwei Dutzend Opfer in Rafah an. So auch ein achtjähriger Junge, der sich auf der Trage krümmt. Mit im Krankenwagen sitzt sein weinender Vater. Der große weiße Umschlag mit den Röntgenaufnahmen seines Sohnes hält er hinter den Rücken, als wolle er es nie mehr ansehen müssen. Das Kind sei von einem Bombensplitter schwer am Kopf verletzt, sagt der junge Arzt, der mitgekommen ist.

Ägypten steht unter immer stärkerem Druck, weil es seine Grenze nicht für Bewohner des Gazastreifens öffnet, die sich vor dem israelischen Bombenhagel in Sicherheit bringen wollen. Am Mittwoch demonstrierten im Zentrum Kairos 3000 Menschen und skandierten „Mubarak, worauf wartest du“ und „Wir sind alle Palästinenser“. Im Jemen und im Libanon griffen Demonstranten die ägyptischen Botschaften an. Schiitenchef Hassan Nasrallah rief die Bevölkerung am Nil auf, zu Millionen auf die Straße zu gehen und „mit offener Brust“ die Öffnung des Grenzüberganges zu erzwingen. Seither werden auch Kairos Diplomaten in Beirut besonders bewacht. Gereizt verbat sich Präsident Husni Mubarak in einer Fernsehansprache an sein Volk jede Einmischung arabischer Politiker und erklärte, er habe die „palästinensischen Brüder“ mehrfach vor einem israelischen Angriff gewarnt, falls sie den Waffen stillstand nicht erneuern.

Ägypter schießen auf fliehende Palästinenser – solche Bilder will Kairo unter allen Umständen vermeiden. An jedem Feldweg, der zu der zwölf Kilometer langen Grenze führt, sind frisch lackierte Eisensperren aufgestellt, hinter denen jeweils vier Sonderpolizisten mit schwarzen Schilden und Helmen stehen. Die ganze Region ist zu militärischem Sperrgebiet erklärt. Die Stadt Rafah ist von der Betonmauer zerschnitten, viele hier haben Verwandte auf der palästinensischen Seite, die sie seit Jahren nicht gesehen haben. Anfang der Woche versuchten hunderte Menschen, mit einem Bulldozer nach Ägypten durchzubrechen. Grenzer feuerten Warnschüsse ab und jagten die Leute zurück.

Nun will Ägypten, das für sich die Rolle der arabischen Vormacht beansprucht, wenigstens auf humanitärem Feld punkten. „Es kommen nicht viele rüber“, räumt Tarek al Muhallawi ein, Chef der Sanitätsdienste in Nordsinai. In Gaza fehle es an Krankenwagen und an Ärzten. „Das größte Problem ist jedoch, dass die Hamas den Verletzten nicht erlaubt, zu uns kommen“, behauptet er. Kontakt zu palästinensischen Krankenhäusern jedoch haben die ägyptischen Behörden nicht. Es gibt keinerlei Koordination zwischen beiden Seiten.

Stattdessen ist um die wenigen Ver letzten, die herauskommen, ein harter Prestigekampf entbrannt. Die Hamas will verhindern, dass Ägypten sich vor der Weltöffentlichkeit als helfende Brudernation profiliert. Ägypten will hingegen möglichst alle Opfer behalten, um seinen immer lauter werdenden Kritikern in der arabischen Welt etwas entgegenhalten zu können.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false