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Politik: Ob Rede- oder Arbeitsparlament: An der angemessenen Wahrnehmung in der Öffentlichkeit hapert es - Eine deutsch-britische Tagung

Nationale Parlamente, regionale Kammern und zunehmend auch das Europaparlament - sie alle ringen um die Aufmerksamkeit einer europäischen Öffentlichkeit, die immer politikmüder wird. Insbesondere Großbritannien verzeichnet im Zeichen der Dezentralisierung eine wundersame Parlaments-Vermehrung.

Nationale Parlamente, regionale Kammern und zunehmend auch das Europaparlament - sie alle ringen um die Aufmerksamkeit einer europäischen Öffentlichkeit, die immer politikmüder wird. Insbesondere Großbritannien verzeichnet im Zeichen der Dezentralisierung eine wundersame Parlaments-Vermehrung. Allerdings sind die Abgeordneten der Öffentlichkeit bislang die Antwort auf die Frage schuldig geblieben, welchen Zweck der Parlamentsbetrieb heutzutage überhaupt noch erfüllt. So sieht es zumindest der britische Politikwissenschaftler Anthony Glees. Sicher hat Glees die Politiker, die sich in Berlin während einer deutsch-britischen Tagung mit "Parlamentskultur in Zeiten des Wandels" auseinandersetzten, mit dieser Äußerung ein wenig provozieren wollen. Aber ganz entkräften konnten auch die Abgeordneten, die sich an drei Tagen dem Dialog mit Wissenschaftlern und Medienvertretern stellten, die These von der Krise der Parlamentarismus nicht.

Das britische Unterhaus als Ort rhetorischer Glanzleistungen, daneben die unermüdlichen Abgeordneten im "Arbeitsparlament" Bundestag - so will es zumindest die Theorie. In der grauen Praxis sind aber die großen Debatten von nationaler Tragweite sowohl in Großbritannien als auch in Deutschland selten geworden. Für die britische Seite stellte der ehemalige "Einpeitscher" der konservativen Fraktion im Unterhaus, Timothy Kirkhope, eine zunehmende Entmachtung des Parlaments durch die Labour-Regierung fest. Der deutsche Parlamentarismus kann sich da noch vergleichsweise glücklich schätzen: Der Göttinger Parteienforscher Peter Lösche stellte die Darstellung des Bundeskanzlers als "Alles-Entscheider" als einen Medien-Mythos dar.

Überhaupt die Medien. Mit dem Umzug von Bonn nach Berlin ist aus dem Bonner Journalismus Hauptstadt-Journalismus geworden - mit seinen Schattenseiten. Das Berliner Phänomen - das neue Misstrauen zwischen Politikern und Journalisten - ist in der britischen Medienlandschaft schon lange bekannt. Etwa 200 Korrespondenten im Vorzimmer der Macht in Westminster, der "Lobby", nehmen in Großbritannien die Scharnierfunktion zwischen Parlament und Öffentlichkeit wahr. Das Privileg dieser "lobby correspondents", parlamentarisches Hintergrundwissen zur Story zu machen, ist in die Kritik geraten. Die Politik wirft den in der Lobby vertretenen Journalisten regelmäßig vor, einzelne Politiker willkürlich hoch- oder herunterzuschreiben, die Grenze zur Privatsphäre zu überschreiten, dem Leitmedium Fernsehen und seiner Grundeinheit, dem griffigen O-Ton, dem "soundbite", bedenkenlos zu folgen. Der ehemalige BBC-Journalist Ben Bradshaw, der seit 1997 "New Labour" im Unterhaus vertritt, ist zum erbitterten Gegner des Lobby-Mikrokosmos geworden: "Das Lobby-System ist auf Unaufrichtigkeit gebaut."

Der vertrauliche Hintergrundkreis, das stille Einvernehmen zwischen Politikern und Journalisten - sie sind in Berlin zwar nicht verschwunden, aber die in Bonn praktizierte gegenseitige "Mund-zu-Mund-Beatmung" scheint endgültig vorüber zu sein, wie positiv vermerkt wird. Gleichzeitig sind aber andere, sinnvolle Grundsätze des Bonner Comment - homosexuelle Politiker werden nicht geoutet, über außereheliche Affären nicht berichtet - in Frage gestellt. Das Ergebnis lässt sich bereits beobachten: "Eine Distanz zwischen Politikern und Journalisten, wie sie vorher nie existiert hat" (Jürgen Hogrefe, Der Spiegel).

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