zum Hauptinhalt
Präsident Obama hat erfolgreich für eine Gesundheitsreform in Amerika gekämpft.

© dpa

Obamas Gesundheitsreform: Auf dem Weg der Besserung

Die umstrittene Pflicht zur Krankversicherung in den USA ist nach Angaben des Obersten US-Gerichts insgesamt nicht verfassungswidrig. Damit ist Obamas wichtigstes politisches Projekt gerettet.

Die Krankenversicherungsreform ist das herausragende Symbolprojekt der Präsidentschaft Barack Obamas. Ihre besondere Bedeutung und das Urteil der Verfassungsrichter lassen sich aber nur in dem speziellen amerikanischen Kontext verstehen. Sowohl im Gesundheitswesen als auch im Verfassungsrecht folgen die USA anderen Traditionen als Deutsche, Franzosen und andere Kontinentaleuropäer. Schlüsselworte wie Versicherungspflicht, „private“ und „gesetzliche“ Kassen oder Zuzahlung haben eine andere praktische Bedeutung als in Europa.

Zu den signifikanten Unterschieden gehört: Die Krankenversicherung ist nicht an die Person gebunden, sondern an den Arbeitsplatz. In den meisten Firmen schließt der Arbeitgeber sie für die gesamte Belegschaft ab. Bei einem beruflichen Wechsel verliert ein Amerikaner sie – und hofft, mit dem nächsten Vertrag eine neue zu erhalten. Kleinere Betriebe bieten oft keine Versicherung an. Dann muss man sich individuell absichern.

„Gesetzliche Kassen“ nach deutschem Muster gibt es in den USA nicht. Alle amerikanischen Versicherungen würde man in Deutschland als „private“ Kassen bezeichnen. Fast immer muss ein Erkrankter einen Eigenanteil bezahlen, der in der Regel zwischen zehn und 40 Prozent liegt; das ist nach US-Verständnis ein Anreiz, Kosten zu vermeiden.

Vor Obamas Reform waren rund 47 Millionen Bürger unversichert, das entspricht 15 Prozent der Bevölkerung. Ein Teil von ihnen möchte keine Versicherung haben, zum Beispiel, weil die Betroffenen sich für gesund halten und die Prämien lieber sparen, weil sie so finanziell besser fahren. Andere, zum Beispiel chronisch Kranke, haben Mühe, überhaupt eine Versicherung oder jedenfalls eine bezahlbare Police zu finden.

Obamas Reform führt eine allgemeine Versicherungspflicht ab 2014 ein. Betriebe ab einer bestimmten Betriebsgröße müssen eine Versicherung für ihre Belegschaft abschließen oder eine Strafe zahlen. Das gilt auch für Individuen, die nicht in einem versicherungspflichtigen Angestelltenverhältnis sind wie Selbständige und die Beschäftigten kleiner Betriebe. Wer wenig verdient, kann staatliche Zuschüsse erhalten. Nach Modellrechnungen würden auch dann nur gut 30 der bisher 47 Millionen Unversicherten eine Police abschließen – und 14 bis 17 Millionen unversichert bleiben, weil sie lieber die Strafe zahlen oder hoffen, nicht erwischt zu werden, oder darauf setzen, weiter kostenlos behandelt zu werden, weil sie kein Eigentum besitzen, das man ihnen wegnehmen könnte, um die Behandlungskosten zu bezahlen.

Die Reform verbietet es Versicherungen, „schlechte Risiken“, zum Beispiel chronisch Kranke“, abzulehnen. Sie beendet auch die Praxis der „preexisting condition“. Mit jedem Jobwechsel oder Wechsel des Wohnorts war bisher ein Versicherungswechsel verbunden; Versicherungen konnten bei Neuabschluss den Gesundheitszustand eines Menschen prüfen und bekannte Vorerkrankungen von der Leistungspflicht ausschließen. Die Reform sieht vor, in jedem Staat, „Versicherungsbörsen“ einzuführen, in denen Betriebe und einzelne Bürger ihre Versicherungsoptionen vergleichen können. Auch dagegen haben republikanisch regierte Staaten geklagt.

Details der Obama-Reform sind populär in den USA, zum Beispiel die Klausel, dass Kinder in Ausbildung oder Studium bis 26 Jahre mit den Eltern versichert bleiben können. Oder das Verbot der „preexisting condition“. Umfragen zeigen aber, dass eine klare Mehrheit der Bürger die Reform als Gesamtpaket ablehnt. Sie fürchten, dass die Kosten des Gesundheitswesens und damit ihre Prämien deutlich steigen, wenn Millionen Unversicherte ins System eingebunden werden und die Versicherungen mehr „schlechte Risiken“ akzeptieren müssen.

Die Verfassungsrichter sind nicht verpflichtet, auf die inneren Zusammenhänge zwischen den einzelnen Teilen der Reform zu achten. Sie hatten zu entscheiden, inwieweit sich einzelne Bestimmungen mit der Verfassung vertragen. Im Mittelpunkt standen zwei Fragen. Darf der Staat, erstens, den Abschluss einer Versicherung vorschreiben oder greift er damit zu weit in die persönliche Entscheidungsfreiheit ein? Zweitens mussten sie entscheiden, ob Bundesregierung und nationales Parlament überhaupt das Recht haben, über diese Fragen zu bestimmen, oder ob das in die Kompetenz der einzelnen Bundesstaaten fällt. Daneben sollten sie prüfen, ob die Vorgaben, was Versicherungsgeselllschaften tun müssen oder dürfen, zu weit in die Vertragsfreiheit in der Privatwirtschaft eingreifen.

Nun haben die Richter Obamas Gesundheitsreform am Freitag bestätigt. Die umstrittene Vorschrift, nach der die meisten Amerikaner eine Krankenversicherung haben müssen, wurde aufrechterhalten.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false