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Politik: Ölpreis: Proteste bringen Jospins Koalition ins Wanken

Für Lionel Jospin war es eine ungewohnte Situation: Auf der Freitreppe seines Amtssitzes im Pariser Hotel Matignon sprach der französische Premier zur Nation. "Es wird keine weiteren Verhandlungen geben, die Fernfahrer müssen die Blockaden aufheben", sagte Jospin mit ernster Miene.

Für Lionel Jospin war es eine ungewohnte Situation: Auf der Freitreppe seines Amtssitzes im Pariser Hotel Matignon sprach der französische Premier zur Nation. "Es wird keine weiteren Verhandlungen geben, die Fernfahrer müssen die Blockaden aufheben", sagte Jospin mit ernster Miene. Noch nie in seiner dreijährigen Amtszeit hatte sich der Premier so weit vorgewagt.

Doch angesichts der größten Krise, die Frankreich seit dem großen Streik von 1995 erlebt, dürfte Jospin noch öfter in die Rolle des unbeugsamen Staatsmanns schlüpfen. Der bisher stets auf Ausgleich bedachte Sozialist muss nicht nur die radikalen Fuhrunternehmer und ihre zahlreichen Trittbrettfahrer in die Schranken weisen. Jospin muss vor allem versuchen, die politische Krise der Pariser Linkskoalition zu schlichten.

Die französischen Grünen haben um ein Gespräch mit dem Premier nachgesucht. Umweltministerin Voynet und Solidarminister Guy Hascoet wollen Jospin "schleunigst" treffen, um die "Vertrauenskrise der Koalition" zu lösen. Dies hatten sie auf einer überraschend einberufenen Nachtsitzung beschlossen. Voynet betonte, daß es nicht ihr Stil sein, mit Rücktritt zu drohen. Jospin müsse jedoch klarstellen, dass die Konzessionen gegenüber den Fuhrunternehmen keine prinzipielle Abkehr vom umweltpolitischen Kurs der Regierung bedeuten.

Das Schlichtungsangebot der Regierung sieht den Verzicht auf die jährliche Erhöhung des Dieselpreises um sieben Centimes (zwei Pfennig) vor, die Voynet durchgesetzt hatte. Doch dies ist nicht der einzige ökologische Ausrutscher: Schon vor einer Woche hatte die ersatzlose Streichung der Kraftfahrzeugsteuer für erheblichen Unmut bei den Grünen gesorgt.

Für Jospin kommt der Wutanfall der Grünen zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Schließlich ist auch die linksnationale Bürgerbewegung von Ex-Innenminister Jean-Pierre Chevenement auf Konfrontationskurs zur Regierung gegangen. Selbst die bisher recht zahmen Kommunisten mucken auf. Weder die in der vergangenen Woche angekündigte Steuerreform noch die geplante Verfassungsänderung zur Verkürzung der Amtszeit des Präsidenten ("Quinquennat") wollen sie offensiv mittragen.

Nur auf seine sozialistische Partei kann Jospin in der Stunde der Not wirklich zählen. Sozialistensprecher Francois Hollande betätigt sich auf allen Kanälen als Sprachrohr des Premierministres. Erst warnte er die Grünen vor einem Rückzug aus der Regierung. Dann mahnte er die Fuhrunternehmer zum Abbau der Barrikaden. "Man muss wissen, wann ein Streik zu Ende ist", sagte Hollande.

Doch wird die Rückendeckung der Sozialisten ausreichen, wenn es hart auf hart kommt? Politische Beobachter haben daran zunehmend Zweifel. Zum einen ist Jospin aus den eigenen Reihen eine ernstzunehmende Konkurrenz erwachsen - Finanzminister Laurent Fabius baut sich zum Gegenspieler des Premiers auf. Zum anderen betonen alle Kommentatoren, dass Jospin sich die aktuelle Krise zum großen Teil selbst zuzuschreiben hat.

Die großzügig verteilten Steuergeschenke hätten Appetit auf mehr gemacht, heißt in Paris die vorherrschende Meinung. Fatal hätten sich zudem die Zugeständnisse an die Fischer ausgewirkt, die bereits in der vergangenen Woche die wichtigsten Häfen blockiert hatten. Großzügige Erleichterungen bei den Soziallasten seien geradezu eine Einladung an die Fuhrunternehmer gewesen, es den Fischern gleichzutun und ihrerseits auf die Barrikaden zu gehen.

Selbst Jospins neue, harte Haltung wirkt kaum beruhigend. Gestern weitete sich der Blockadestreik zu einem regelrechten Flächenbrand aus. Jospin erinnere zunehmend an seinen amtsvorgänger Alain Juppe, schrieb der "Figaro": Auch der Gaullist hatte beim letzten großen Streik 1995 auf Härte gesetzt. Zwei Jahre später wurde Juppe abgewählt - die Franzosen haben ihm die Pose des besserwissenden Staatsmanns nie verziehen.

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