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Heinz Fischer ist seit dem 8. Juli 2004 österreichischer Bundespräsident. Am Freitag scheidet der Sozialdemokrat aus dem Amt.

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Österreichs scheidender Präsident: Heinz Fischer: "Dies ist ein Weckruf für Europa"

Der scheidende Präsident Österreichs Heinz Fischer über den Brexit, Populismus und die Chancen der EU.

Herr Fischer, wie sehr sorgt Sie zum Ende Ihrer aktiven Zeit als Politiker die aktuelle Entwicklung in Großbritannien?
Dem ersten Schock nach Vorliegen des Ergebnisses der Volksabstimmung in Großbritannien stehen jetzt das Gefühl für den Ernst der Lage und die Notwendigkeit, intensiver an der Idee eines gemeinsamen Europa zu arbeiten, gegenüber. Wir müssen einen deutlichen Schritt nach vorne wagen, statt zu trauern, dass sich Großbritannien von der EU entfernt. Der Ausgang des Referendums ist sicherlich ein Rückschlag und unerfreulich. Die Europäische Union muss und wird jetzt erst recht stark genug sein, mit den Folgen zu leben, ohne ihre grundlegenden Ziele zu verraten.
Welche Folgen könnte ein drohender Austritt haben?
Ich glaube, dass der Brexit Großbritannien und London mehr Kopfzerbrechen bereiten wird als der Europäischen Union. Es wird in den nächsten zwei Jahren Unsicherheiten geben und Meinungsverschiedenheiten. Das gilt zum Beispiel auch für den Bereich Wissenschaft und Forschung. Hier wird es zu Auswirkungen kommen im Bereich der Erasmus-Programme und der Förderungen. Spitzenforschung und exzellente Ergebnisse in der Forschung und im Bereich der Wissenschaft sind aber nur möglich, wenn man über den Tellerrand hinausblickt und über Landesgrenzen hinweg die interdisziplinäre Zusammenarbeit sucht. Forschung auf höchstem Level ist ohne den Aspekt der Internationalität nicht möglich. Meine Hoffnung ist, dass das Potenzial der Beteiligten in der EU stark genug ist, um wissenschaftliche Zusammenarbeit und Forschungskooperationen fortzusetzen.
Ist die Idee von einem gemeinsamen Europa ernstlich in Gefahr?
Ich bin überzeugt, dass dies ein Weckruf für Europa ist. Für mich ist es nicht der Beginn einer Serie von Austrittsbewegungen, sondern eine Chance, dass wir größere Anstrengungen unternehmen, um das Positive der EU stärker in den Fokus zu rücken. Die Entwicklung von Europa und der EU im Speziellen vollzog sich in den vergangenen 40 Jahren mit einer hohen Geschwindigkeit. In den vergangenen Jahren, vielleicht ab der Erweiterung im Jahr 2004, reduzierte sich das Tempo der Prozesse. Wir müssen noch die Staaten des westlichen Balkans in die Europäische Union aufnehmen, aber ab dann muss man mit der EU-Erweiterung sehr vorsichtig sein.
Sie wollen sich gerade jetzt aber nicht in den Ruhestand verabschieden, oder?
Ich werde ein politischer Mensch bleiben und das Geschehen mit Interesse verfolgen. Ich übernehme eine Gastprofessur an der Universität Innsbruck, werde die Zeit zum Schreiben nutzen und auch Termine im Ausland wahrnehmen.
Wenn Sie am 8. Juli nach fast 50 Jahren als Politiker Ihre aktive Karriere beenden, hinterlassen Sie ein Amt ohne Staatsoberhaupt. Wie sehr beschäftigt sie das?
Es ist natürlich eine ganz außergewöhnliche Situation, dass eine Bundespräsidentenwahl in Österreich oder auch in Europa wiederholt werden muss. In Österreich war das noch nie der Fall. Unser Verfassungsgerichtshof hat aber in „Wahlsachen“ eine besonders strenge Judikatur. Der Präsident des Verfassungsgerichtshofs hat in seiner Urteilsbegründung ausgeführt, dass keine Anhaltspunkte für Wahlmanipulationen oder Wahlbetrug gefunden werden konnten. Es hat aber bei der Bearbeitung und Auszählung der Briefwahlstimmen eine Verletzung mehrerer Formvorschriften in großer Zahl gegeben.

Und da das Wahlergebnis besonders knapp war, hat sich der Verfassungsgerichtshof entschlossen, die Wiederholung der Stichwahl anzuordnen. Die Wiederholung der Stichwahl wird am 2. Oktober 2016 stattfinden und der am 2. Oktober gewählte Präsident wird im Laufe des Monats November von der Bundesversammlung vereidigt werden. Bis dahin ist das Präsidium des Nationalrats berufen, als Vertreter des Bundespräsidenten die notwendigen Entscheidungen zu treffen.
In vielen Ländern ist ein neuer Politikertypus erfolgreich, der sich immer häufiger populistischer Elemente bedient. Wie gefährlich ist das für die Demokratie?
Ich denke nicht, dass ein „neuer Politikertypus“ die politischen Bühnen in Europa betreten hat. Meiner Meinung nach ist es vielmehr so, dass die politischen Parteien im Zuge der politischen und gesellschaftlichen Entwicklung einen beträchtlichen Teil ihrer Bindungskraft verloren haben. Das führt dazu, dass die Zahl der Stammwähler und Parteimitglieder stark rückläufig ist, dass die Zahl der Parteien und auch die Zahl der Wechselwähler deutlich zunimmt und dass daher ein größerer Teil der Wähler im Vergleich zu früher für das kurzfristig Populäre, für Schlagworte, für Emotionen gegen Ausländer anfällig ist. Das ist ein Problem, das uns noch längere Zeit beschäftigen wird.

Jan-Philipp Möller

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