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Politik: Offene Worte an einen Freund

Patentrezepte gibt es nicht. Der Optimismus ist verflogen.

Patentrezepte gibt es nicht. Der Optimismus ist verflogen. Außenminister Fischer spricht rundheraus von "einen Schlamassel". Wer heutzutage zwischen Israel und Palästinensern vermitteln wolle, brauche "großen Glauben und langen Atem", sagte der deutsche Außenminister beim 3. Europäisch-Israelischen Dialog, den die Zeitung "Die Welt" in Berlin veranstaltete. Deutschland fühle sich wegen der Verbrechen des Holocaust mit Israel speziell verbunden, betonte Fischer, sparte aber gleichzeitig gegenüber den israelischen Gästen nicht mit klaren Worten. Die israelische Okkupation und der palästinensische Terror - beides seien die Quellen des Nahostkonflikts. Für den sinnlosen Mord an unschuldigen Menschen durch Bombenattentate gebe es keinerlei politische Rechtfertigung. Umgekehrt aber bräuchten auch die Palästinenser die Perspektive für ein Ende der israelischen Besatzung, sagte Fischer. "Der Siedlungsbau muss aufhören, und Israel muss die Existenz der Palästinenser als Realität anerkennen."

Der Grünen-Politiker hielt auch mit deutlicher Kritik an der Regierung Scharon nicht hinter dem Berg. Deren Versuch, Arafat zu stürzen, bezeichnete er als ein riskantes Spiel. Denn es bestehe ein hohes Risiko, dass es dadurch zu einer Islamisierung der Palästinenser komme und die Hamas gestärkt werde. "Radikalere Politiker könnten an die Macht kommen", warnte der Außenminister und erklärte, die palästinensische Selbstverwaltung tue im Augenblick alles, was sie könne, um der Terroristen Herr zu werden. "Was ist dann der Sinn, immer noch mit F-16-Kampfjets anzugreifen?" Zwar habe die israelische Führung das legitime Recht, seine Bürger zu schützen und gegen den Terror zu kämpfen. Aber sie müsse auch bereit sein zu einem politischen Prozess. Und wenn Arafat tatsächlich versuche, Hamas und Dschihad niederzuringen, dann müsse Israel seine militärischen Aktionen aussetzen ebenso wie die "nicht rechtsstaatlichen Tötungen" von Palästinensern.

"Wir tun inzwischen Dinge, die wir nicht tun wollen", räumte der stellvertretende israelische Außenminister, Rabbi Michael Melchior, ein. Er selbst habe 1998 drei Monate zusammen mit Palästinensern gelebt und deren Leiden und Hoffnungslosigkeit kennen gelernt. Dann habe Israel auf dem Gipfel von Camp David den Palästinensern weitreichendste Zugeständnisse gemacht - "und wir haben Terror als Antwort erhalten". Trotz dieser verständlichen Frustrationen - das Ende der israelischen Okkupation sei eine Selbstverständlichkeit, sagte die Knesset-Abgeordnete Yael Dayan von der Arbeiterpartei. Es müsse und werde einen palästinenischen Staat geben mit Ost-Jerusalem als Hauptstadt. Sie kritisierte, Israel stilisiere sich in dem Konflikt viel zu sehr als Opfer, obwohl es weitaus stärker sei als die palästinensische Seite.

Diese Schieflage in der Wahrnehmung erklärte Gideon Levy von der Tageszeitung Haaretz damit, dass die meisten israelischen Bürger überhaupt nicht wüssten, was Israel seit 33 Jahren mit seiner Okkupation Tag für Tag anrichte. Levy ist einer der wenigen israelischen Journalisten, die regelmäßig in den palästinensischen Gebieten recherchieren und arbeiten. Die Palästinenser lebten in einer Realität, "die wir nicht kennen und die in den israelischen Medien total ausgeblendet ist". Wie der Chefreakteur des israelischen Fernsehens, David Witzthum, ergänzte, stützen sich die meisten Journalisten stattdessen auf Informationen von Regierungsstellen, Militär oder Geheimdienst.

Der Selbstmordattentäter von Haifa, der sich am Samtagabend in die Luft sprengte, sei kein geborener Killer, betonte Levy. "Wenn wir den Terror beenden wollen, müssen wir versuchen zu begreifen, was diesen Menschen zu einer solchen Tat gebracht hat." Eine Autostunde von Tel Aviv lebten Menschen in Umständen, in denen keiner von uns existieren möchte. Diesen Menschen würden durch die Israelis die alltäglichsten Dinge verwehrt, wie das Fahren von Dorf zu Dorf, der Besuch von Verwandten oder der Transport des Großvaters in ein Krankenhaus. Auch sei es mittlerweile beim israelischen Militär systematische Politik, schwangere Frauen an Checkpoints zurückzuweisen und sie nicht zur Entbindung zum Hospital fahren zu lassen. "Die Palästinenser haben gute Gründe, uns zu hassen", sagte Levy, dessen Familie vor den Nazis aus Deutschland fliehen musste. Man müsse das ganze Bild sehen, auch den palästinensischen Alltag unter israelischer Besatzung, sonst verstehe man nichts.

Dabei liegen die Kernelemente eines Friedens seit langem auf dem Tisch. "Alles ist schon hunderte Male diskutiert worden", sagte Joschka Fischer. Neue Aspekte gebe es nicht. Und am Ende werde man wieder auf die Vorschläge von Bill Clinton zurückkommen, wie sie Anfang 2000 im ägyptischen Badeort Taba verhandelt worden waren. "Das tragische an der Situation ist, dass bis dahin noch viele Menschen sterben müssen", sagte Fischer mit warnendem Unterton. "Wenn ihr beide den Nahen Osten in Flammen setzt, dann trifft das auch unsere Interessen." Schließlich stehe dort "die Tankstelle der Weltwirtschaft".

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