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Politik: Ohne Behandlung

Natürlich sind die Horror-Zahlen nur statistische Theorie. Aber in Zeiten, in denen die Krankenkassen nahezu wöchentlich Beitragserhöhungen um halbe Prozentpunkte ankündigen und die 14-Prozent-Schwelle bald schon Vergangenheit ist, bergen auch Hochrechnungen Brisanz.

Natürlich sind die Horror-Zahlen nur statistische Theorie. Aber in Zeiten, in denen die Krankenkassen nahezu wöchentlich Beitragserhöhungen um halbe Prozentpunkte ankündigen und die 14-Prozent-Schwelle bald schon Vergangenheit ist, bergen auch Hochrechnungen Brisanz. Wenn nichts reformiert würde in den nächsten Jahrzehnten, wenn also praktisch keine Gesundheitspolitik mehr stattfände, dann, so prognostiziert das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in einem bislang unveröffentlichten Gutachten, könnten die Beitragssätze der Krankenkassen im Jahr 2010 17,5 Prozent und im Jahr 2020 20,1 Prozent erreichen. 2030 könnten es bereits 27,9 Prozent, 2040 sogar 34 Prozent sein.

Zugrundegelegt haben die Wissenschaftler um DIW-Forschungsdirektor Gert Wagner ihrer Prognose ein jährliches Produktivitätswachstum von zwei Prozent und einen Ausgabenanstieg von einem Prozent - sowie eben die Annahme, dass keiner auf die Idee zum Gegensteuern kommt. Eine Warnung also, erstellt im Auftrag des Wirtschaftsministers. Wenn sie am Donnerstag vom Auftraggeber Werner Müller und Gesundheitsministerin Ulla Schmidt präsentiert wird, dürfte es deshalb vor allem um eben dieses Gegensteuern gehen. Und in den diesbezüglichen Vorschlägen der DIW-Gutachter steckt die eigentliche Brisanz.

Was Ulla Schmidt gefallen dürfte, ist die Absage an alle Überlegungen, die Krankenversicherung in Pflicht- und Privatvorsorge aufzuteilen. Doch mit Reförmchen, so stellen die Wissenschaftler klar, ist es nicht getan. Ihre Vorschläge gehen ans Eingemachte: Ausweitung der Beitragsbemessungsgrenze, Versicherungspflicht für die gesamte Wohnbevölkerung, Abschaffung althergebrachter Strukturen, bei denen neuerdings auch Sozialdemokraten immer häufiger von "Zwangskartellen" sprechen. Den Krankenkassen müsse wirklicher Wettbewerb ermöglicht, es müsse ihnen freigestellt werden, mit welchen Medizinern, Kliniken oder Laborärzten sie Verträge abschließen wollten, so die Gutachter.

200 Seiten umfasst ihre Studie, doch die bittere Medizin wird schnell wieder in einer ministerialen Schublade landen. Bis Ende der Legislaturperiode würden begonnene Projekte abgearbeitet, stellt die Ministerin klar. Also: Risikostrukturausgleich unter den Kassen, Sparpaket für Arzneimittel. Alles andere soll erst nach der Wahl auf den Tisch.

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