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Politik: "Ohne eine Teil-Mobilmachung ginge das nicht"

BRÜSSEL ."Da ist nichts dran," dementiert ein hoher NATO-Offizier die Meldungen der britischen Wochenzeitung "The Observer", wonach die NATO den Einsatz von Bodentruppen im Kosovo plane.

BRÜSSEL ."Da ist nichts dran," dementiert ein hoher NATO-Offizier die Meldungen der britischen Wochenzeitung "The Observer", wonach die NATO den Einsatz von Bodentruppen im Kosovo plane."Schlicht falsch" sei auch die Aussage des russischen Außenministers Iwanow, wonach Rußland "konkrete Hinweise" habe, daß die NATO sich für einen Bodenkrieg vorbereite."Da man im Westen aber weiß, daß ein solcher Einsatz viele Menschenleben kosten wird, leugnet man öffentlich, daß es entsprechende Planungen gibt, um die öffentliche Meinung zu beruhigen," hatte Iwanow behauptet.

Das alles entspreche in keiner Weise der Wirklichkeit, heißt es am Montag in Brüssel aus Kreisen der Allianz, die zu den militärischen Planungsgremien Zugang haben.Seit Sommer 1998, als der NATO-Rat die Option, Bodentruppen einzusetzen, verworfen hat, sei nicht mehr darüber gesprochen worden.Die Militärstäbe haben nach wie vor keinen Planungsauftrag für diese zweifellos schwierigste und verlustreichste Form des militärischen Eingreifens.Offensichtlich ist man im Brüsseler NATO-Hauptquartier und im militärischen Hauptquartier "Shape" in Mons ganz froh, daß alle Regierungen einen Bodenkrieg bisher strikt ablehnen.Mehr noch: Hinter den Kulissen warnen die NATO-Militärexperten die Politiker, sich leichtfertig auf dieses Abenteuer einzulassen, dessen Ausgang ungewiß ist."Man würde die Büchse der Pandora öffnen", fürchtet ein hoher Heeresoffizier.

Daß NATO-Generalsekretär Javier Solana am Wochenende den Eindruck erweckt hat, als ob er Bodentruppen inzwischen nicht mehr ausschließe, muß dazu kein Widerspruch sein.Entsprechende Äußerungen sind vor allem taktischer Natur.Auf diese Weise, so räumt man in Brüssel ein, wolle man verhindern, daß das Regime in Belgrad sich allzusehr in Sicherheit wiege.Daß die politische Führung die Option Bodentruppen schon von Anfang an ausgeschlossen habe, sei ein schwerer taktischer Fehler des Westens gewesen.Auf diese Weise sei Milosevic signalisiert worden, daß der NATO die Hände gebunden sind und daß er nicht fürchten müsse, daß ihm die NATO auf dem Territorium des Kosovo entgegentrete - eine Art Freibrief für seine Soldateska.

Ob es jetzt noch gelingen kann, durch einen Wechsel der Wortwahl Milosevic zu beeindrucken, ist mehr als ungewiß.Denn tatsächlich ist die NATO gegenwärtig gar nicht in der Lage, im Kosovo einen Bodenkrieg zu führen."Wir haben weder die Truppen, noch die Transportkapazität, um einen solchen Krieg führen zu können", sagt ein Offizier im Brüsseler Hauptquartier.Doch selbst wenn die Streitkräfte verfügbar wären, dauerte es nach den Berechnungen der Militärs viele Wochen und Monate, bis die Einheiten mit ihrem schweren Gerät im Aufmarschgebiet wären.

An der Küste stehen wenige Häfen zur Verfügung.Die Flughäfen von Tirana und Skopje haben begrenzte Kapazität.Panzer, Artillerie, gepanzerte Fahrzeuge kann man ohnehin nicht im Flugzeug transportieren.Doch viele Gedanken über Transportprobleme muß man sich bei "Shape" gar nicht machen.Die NATO hat schlicht die 80 000 bis 100 000 Mann gar nicht, die das Minimum wären, um ins Kosovo zu gehen.Großbritannien hat nahezu alle beweglichen Kampfeinheiten in Nordirland, in Bosnien und jetzt in Mazedonien eingesetzt.Reserven stehen nicht zur Verfügung.Die Franzosen sind in einer ähnlichen Situation.

Die Hauptlast müßte folglich die Bundeswehr tragen, die mindestens 10 000 bis 20 000 Mann stellen müßte."Das würden wir auf keinen Fall in der gebotenen Frist schaffen," meint ein hoher deutscher Heeresoffizier."Wir haben weder die Strukturen noch die Logistik für einen solchen mobilen Einsatz in der Ferne.Wir sind nicht dafür ausgerüstet und wir sind nicht dafür ausgebildet." Die Bundeswehr sei für die Landesverteidigung strukturiert, bereit für den Abwehrkampf zwischen Donau und Elbe.Nicht aber für den Kampf fern von den eigenen Nachschublinien."Wir haben nach dem Fall der Mauer die Friedensdividenden eingestrichen, abgerüstet, Panzer und Artillerie eingemottet, die Versorgung auf Friedensbetrieb umgestellt," so der Offizier."Unterdessen hat man uns immer mehr Aufgaben, aber immer weniger Geld gegeben."

Während früher 90 Prozent aller Streitkäfte innerhalb von zwei Tagen einsatzbereit waren, sind heute gerade noch die Hälfte der - deutlich verringerten - Heeresverbände innerhalb eines Monats abmarschbereit.Da die Bundeswehr zudem für Kampfeinsätze keine Wehrpflichtigen einsetzen könnte, müßten die Einheiten völlig neu zusammengestellt werden.Das hieße, daß man aus vier oder fünf Bataillonen ein Kampfbataillon zusammenstellen müßte.Das Personal ganzer Bundeswehrkrankenhäuser müßte abgezogen werden, Instandsetzungseinheiten, auf die man in den vergangenen Jahren weitgehend verzichtet hat, müßten schnell neu aufgestellt werden."Ohne eine Teil-Mobilmachung ginge das alles nicht", so das Fazit der Fachleute.Reservisten müßten dann in Deutschland die abziehende Kosovo-Truppe ersetzen.Das würde aber dauern.Schnell verfügbar wären allein die US-Marines auf den Flugzeugträgern in der Adria, knapp 5000 Mann - viel zu wenig für einen Bodenkrieg.

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