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Politik: „Ohne Palme keine Datteln“

Viele Iraker fordern baldige Wahlen. Die UN prüfen nun, ob die Voraussetzungen dafür gegeben sind

IRAKS WEG ZUR DEMOKRATIE

Von Susanne Fischer, Bagdad

und Alexander Visser, Berlin

Dürfen die Iraker nach Jahrzehnten der Diktatur schon in diesem Frühjahr eine neue Regierung wählen? In einer Woche könnte der Fahrplan zur Demokratie etwas klarer werden. Bis dahin will UN-Generalsekretär Kofi Annan über die Entsendung eines Expertenteams in den Irak entscheiden, der er im Grundsatz bereits zugestimmt hat. Nach Vorstellungen der USA und Großbritanniens sollen die Experten im Irak die Möglichkeit von baldigen direkten Wahlen prüfen, wie sie von einflussreichen Vertretern der schiitischen Bevölkerungsgruppe gefordert werden. Annan werde noch den Bericht von vier Sicherheitsexperten abwarten, sagte ein UN-Vertreter.

Die USA hoffen, dass die UN die Anhänger des schiitischen Geistlichen Großajatollah Ali al Sistani davon überzeugen, dass die von den Schiiten geforderten Wahlen bis zum Mai nicht möglich sind. In Bagdad haben am Dienstag erneut 5000 Schiiten gegen die USA demonstriert, sie forderten die Hinrichtung von Ex-Diktator Saddam Hussein.

Seit die Amerikaner die Details ihres Plans für die Machtübergabe im Irak bekannt gegeben haben, diskutiert das Land über die Frage, wie schnell eine Wahl stattfinden kann. Das Paradoxe am US-Plan: Einerseits drängen die Amerikaner darauf, so bald wie möglich die Souveränität an die Iraker zurückzugeben, gleichzeitig scheuen sie sich, freie Wahlen abzuhalten – weil sie fürchten, dass die schiitische Bevölkerungsmehrheit für einen Gottesstaat stimmen könnte. Das Hauptargument der Amerikaner und ihrer Verbündeten: „Es gibt keine aktuelle Volkszählung und damit keinen Überblick über die Wahlberechtigten“, sagt Regierungsratsmitglied Naseer Chadirji.

Dem hält Großajatollah Ali al Sistani, einer der schärfsten Kritiker der US-Pläne, entgegen, statt eines Wahlregisters könnten die Essensberechtigungsscheine des Öl-für-Lebensmittel-Programms der UN verwendet werden – ein Verfahren immerhin, mit dem Saddam Hussein für das Referendum über seine nächste Amtszeit im Oktober 2002 eine annähernd vollständige Wahlbeteiligung sicherstellte. Denn wer nicht zur Wahl erschien, musste den Verlust der UN-Essensration befürchten. Die Karten seien nicht zuverlässig, widerspricht Chadirji: Um mehr Lebensmittel zu bekommen, seien viele Karten gefälscht worden. Das werden die UN-Experten überprüfen müssen. Ungelöst ist auch die Frage der Beteiligung der Exil-Iraker. Unter Saddam sind viele Millionen Iraker ins Ausland geflohen, ihre Staatsbürgerschaft wurde annulliert. Auch sie sollen wählen dürfen, betonen viele Mitglieder des Regierungsrats, die selbst meist erst nach dem Krieg aus dem Exil zurückgekehrt sind.

Für Ghassan al Attijah, Direktor der Irak-Stiftung für Entwicklung und Demokratie in Bagdad, kommt der ganze politische Prozess viel zu früh. „Wie kann man in dieser Situation überhaupt daran denken, Wahlen abzuhalten? Hier herrscht Chaos, es gibt keine Sicherheit, wir bewegen uns auf libanesische Zustände zu.“ Für eine funktionierende Demokratie gebe es derzeit gar keine Institutionen, und das Volk sei in den politischen Prozess nicht involviert. „Ohne Palme kann man keine Datteln ernten“, sagt er, „und ohne Demokraten keine Demokratie errichten.“ Für Abdel Asis al Hakim, den Vorsitzenden der Schiiten-Partei „Höchster Rat für die Islamische Revolution im Irak“ steht trotzdem fest: Das irakische Volk muss gefragt werden, egal wie. „Denn wenn eine Regierung nicht gewählt, sondern ernannt wird, kann das die Tyrannei von einigen wenigen Leuten zur Folge haben, die wiederum zur Diktatur führen kann. Das wäre dann wie früher.“

Erfahrene Wahlbeobachter betonen, dass eine demokratische Abstimmung mehrere Monate gründlicher Vorbereitung bedarf. „Ohne ein aktuelles Wählerregister kann keine Wahl stattfinden“, sagt Jens Behrendt. Der langjährige Mitarbeiter beim Freiwilligenprogramm der Vereinten Nationen rekrutiert heute beim Berliner Zentrum für Internationale Friedenseinsätze Wahlbeobachter, zuletzt etwa für Georgien. Wie schnell ein Register erstellt werden könne, komme auf den Zustand der Verwaltung des jeweiligen Staates an. Behrendt betont auch, dass zunächst Wahl- und Parteiengesetze verabschiedet werden müssten. Im Auswärtigen Amt heißt es, im Prinzip könnten auch Deutsche dabei helfen, irakische Wahlen zu organisieren und zu überwachen: Allerdings im Auftrag der UN und nicht Deutschlands, da es nicht üblich sei, Wahlbeobachter auf nationaler Ebene zu stellen.

Ein Kompromiss könnte darin bestehen, den von den USA gesetzten Termin für die Machtübergabe vom Sommer in den Herbst zu verschieben und so etwas Zeit zu gewinnen: Dem steht allerdings ein wichtiger Termin jenseits der irakischen Grenzen entgegen: die Präsidentschaftswahlen in den USA.

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