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Politik: Ohrfeige für Ankara

Europäischer Menschenrechtsgerichtshof urteilt: PKK-Chef Öcalan erhielt keinen fairen Prozess / Türkei muss Anwälte bezahlen

In seiner Einzelzelle auf der Gefängnisinsel Imrali darf Abdullah Öcalan nur den türkischen Staatssender TRT hören – doch selbst über diesen Kanal wird ihn am Mittwoch die Kunde aus Straßburg erreicht haben: Beim Prozess gegen den PKK-Chef hat die Türkei 1999 nach dem Urteil des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofes gegen rechtsstaatliche Prinzipien verstoßen. Ein später Triumph für den türkischen Staatsfeind Nummer eins – und ein schwerer Schlag für die Türkei, der mit dem Urteil bescheinigt wird, dass es im wichtigsten Prozess ihrer Justizgeschichte nicht mit rechten Dingen zuging.

Das Straßburger Urteil könnte auch die Wunden im türkisch-kurdischen Konflikt wieder aufreißen, die sich gerade zu schließen begannen. Und das ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, da der nahende Irak-Krieg ohnehin für wachsende Spannungen sorgt. „Die Atmosphäre heizt sich nun wieder auf", sagte ein Aktivist der Kurdenpartei Hadep im südosttürkischen Kurdengebiet nach dem Urteil. Schon in den vergangenen Wochen verboten die Behörden vielerorts im türkischen Südosten Demonstrationen, zu denen die PKK aufgerufen hatte. Öcalans Anhänger fordern die Freilassung ihres Chefs, dessen Todesurteil nach der Abschaffung der Todesstrafe in der Türkei in lebenslange Haft ohne Möglichkeit einer vorzeitigen Entlassung umgewandelt wurde. „Jetzt hoffen wir nur, dass das Newroz-Fest friedlich verläuft“, sagte der Hadep-Funktionär: Die Kurden feiern ihr Frühlingsfest am 21. März. Neue Auseinandersetzungen zwischen türkischen Sicherheitskräften und Kurden werden zudem befürchtet, wenn der Öcalan-Prozess in der Türkei neu aufgerollt werden sollte. Zwar will die türkische Regierung innerhalb der vorgeschriebenen dreimonatigen Frist Beschwerde gegen das Urteil einlegen. Aber wenn diese erfolglos bleibt, hat Öcalan das Recht, ein neues Verfahren in der Türkei zu beantragen.

Im Fall Öcalan urteilten die Straßburger Richter, nach seiner Festnahme im Februar 1999 hätten die türkischen Behörden dem heute 53-jährigen PKK-Chef zu lange den Kontakt zu seinen Anwälten verwehrt und ihn erst nach einer unverhältnismäßig langen Wartezeit einem Richter vorgeführt. Als nicht rechtsstaatlich wertete das Menschenrechtsgericht auch die Tatsache, dass zu Beginn des Prozesses ein Militärrichter im Richtergremium des zuständigen Staatssicherheitsgerichtes saß. Auch die damals noch geltende Todesstrafe wurde als Verstoß gegen Öcalans Menschenrechte gerügt. Aus diesen Gründen habe Öcalan keinen fairen Prozess erhalten, entschieden die Europa-Richter.

Die Türkei muss Öcalans Anwälten 100 000 Euro Prozesskosten zahlen, was die Verärgerung der türkischen Nationalisten noch steigern dürfte. Der PKK-Chef selbst beriet sich am Mittwoch mit seinen Verteidigern, die ihn zum ersten Mal seit mehr als drei Monaten besuchen durften.

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