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Politik: Ombudsmann Istanbul

Im Irak, im Irankonflikt oder zwischen Palästinensern und Israelis – die Türkei will vermitteln

Riad statt Berlin: Das Besuchsprogramm des türkischen Regierungschefs Recep Tayyip Erdogan in den vergangenen Wochen sagt viel aus über die derzeitigen Schwerpunkte der türkischen Außenpolitik. Dabei sind die Ziele, die der Premier angereist hat, mindestens so aufschlussreich wie die Städte, in denen er nicht Station machte. So mischte sich Erdogan unter die Gäste des Gipfeltreffens der Arabischen Liga in Saudi-Arabiens Hauptstadt; beim EU-Jubiläumsgipfel in Berlin war der türkische Ministerpräsident dagegen nicht eingeladen. Weil die Türkei sich von den Europäern zurückgewiesen fühlt, verstärkt sie jetzt immer mehr ihr Engagement in Nahost.

Zum Teil geht die neue Aktivität auf einen türkischen Führungsanspruch in der Region zurück – die Denkschule der „neuen Osmanen“ macht sich bemerkbar. Doch Ankara will auch der EU zeigen, wie sehr Europa von einer starken Regionalmacht Türkei profitieren könnte. Letzteres wird besonders deutlich bei den türkischen Vermittlungsversuchen im Fall der 15 im Iran festgehaltenen britischen Soldaten. Außenminister Abdullah Gül rief gemeinsam mit seiner britischen Amtskollegin Margaret Beckett Regierungsvertreter in Teheran an; Erdogan telefonierte persönlich mit Präsident Mahmud Ahmadinedschad.

Die Türkei hat in Nahost gute Beziehungen zu Israel sowie zu den Gegnern des jüdischen Staates, sie engagiert sich mit Friedenssoldaten im Libanon und in Afghanistan. Als Demokratie mit muslimischer Bevölkerung und kräftig wachsender Wirtschaft, Nato-Staat und Nachfolgestaat eines Weltreiches ist die Türkei in der Region einzigartig. Die Länder in Nahost sehen das nach Ansicht Ankaras inzwischen genauso. Die türkische Presse schreibt inzwischen vom „Ombudsmann“, wenn es um Ankaras Rolle in der Region geht.

Erdogan nutzt die Ausnahmesituation nach Kräften. In Riad sprach er mit der palästinensischen Führung und lud sie nach Ankara ein, er traf Iraks Präsidenten Dschalal Talabani und setzte sich mit anderen Politikern zusammen. An diesem Dienstag fliegt er nach Syrien, um mit Präsident Baschar al Assad zu sprechen. In Istanbul soll demnächst eine internationale Konferenz zur Zukunft des Iraks stattfinden. Erst kürzlich waren der ägyptische Präsident Hosni Mubarak und Israels Premier Ehud Olmert zu – getrennten – Besuchen in Ankara. Mit Olmert vereinbarte Erdogan, dass türkische Experten die umstrittenen israelischen Baumaßnahmen nahe der Al-Aksa-Moschee in Jerusalem begutachten dürfen: die säkulare Republik Türkei als Wächterin über eine der heiligsten Stätten des Islam.

Zugleich investieren reiche Araber, denen seit dem 11. September 2001 im Westen oft Misstrauen entgegenschlägt, Milliardenbeträge in der Türkei. Das von der Familie des ermordeten libanesischen Ex-Premiers Rafik Hariri geführte Unternehmen Oger Telecom kaufte den früheren Staatsbetrieb Türk Telekom. Vor zwei Wochen ersteigerte ein Konzern aus Dubai ein Baugrundstück in Istanbul für 700 Millionen Dollar.

Gewachsenes Ansehen und Einfluss in Nahost sind für die Türkei kein Selbstzweck: Man will besonders bei den Europäern Eindruck machen. Die ganze islamische Welt unterstütze die EU-Bewerbung seines Landes, sagte Außenminister Gül vor kurzem. In Europa dagegen werde die Bedeutung der Türkei unterschätzt, klagen türkische Politiker, darunter Erdogan selbst: „Wir gehen nicht (nach Europa), um eine Last zu sein, sondern um Lasten zu schultern“, sagte er vergangene Woche. Nur scheint die EU diese Meinung über den nahöstlichen „Ombudsmann“ nicht zu teilen

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