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Politik: Operation Pufferzone

Die Türkei beginnt mit Vorbereitungen auf eine Flüchtlingswelle aus Syrien – ein Auffanglager auf dem Gebiet des Nachbarlands.

Als Mehmet Karabas kürzlich mitten in der Nacht von einem Geräusch geweckt wurde, war es nicht der übliche Gefechtslärm, der seit einiger Zeit regelmäßig aus Syrien zu seinem Dorf Güvecciköy direkt an der Grenze herüberweht. Es waren die Schreie eines Mannes, der um sein Leben flehte. „Um Gottes willen, erschießt mich nicht“, habe der Mann auf Arabisch gerufen, sagt Karabas. „Ich lief runter zur Grenze, aber da war niemand.“

Die Kämpfe in Syrien eskalieren weiter und rücken immer dichter an die türkische Grenze heran. Beim syrischen Nachbarn Türkei, der einen Massenansturm von syrischen Flüchtlingen erwartet, laufen deshalb die ersten Vorbereitungen zur Einrichtung einer Schutzzone auf syrischem Gebiet. Türkische Dorfbewohner an der Grenze, wie Karabas, erleben seit Wochen, wie sich der Konflikt auf sie zubewegt. Kürzlich landete eine syrische Patrone auf dem Dach eines Hauses in Güvecciköy, auch in anderen Grenzdörfern berichten die Menschen von Gefechtslärm und syrischer Munition, die auf türkischem Boden niedergeht. Neu angelegte Minenfelder auf syrischer Seite verletzen fast täglich Flüchtlinge, die über die Grenze in die Türkei wollen.

Wegen der Zuspitzung der Lage haben türkische Militärs und Diplomaten diskret mit Planungen für eine Pufferzone auf syrischem Gebiet begonnen. Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hatte die Überlegungen vergangene Woche öffentlich gemacht. Inzwischen gibt es Anzeichen für konkrete Vorbereitungen. Behördenvertreter in der türkischen Grenzregion berichten von der Ankunft von 500 speziell ausgebildeten Soldaten, die an der Grenze diverse Optionen prüfen sollen. Dorfbewohner sagen, sie hätten in den vergangenen Tagen hochrangige Militärs bei Inspektionen in der Grenzgegend gesehen. Zudem sind einige Grenzabschnitte von den türkischen Militärs gesperrt worden. Offiziell heißt es in Ankara, „im Moment“ gebe es noch keinen Plan für eine Pufferzone.

Im Ernstfall will die Türkei mit der Zone eine Fluchtbewegung aus Syrien verhindern, die alle Kapazitäten auf türkischer Seite übersteigen würde: Der türkische Rote Halbmond rechnet damit, dass die Kämpfe bis zu 500 000 Syrer in die Flucht treiben könnte. Eine Pufferzone auf syrischem Gebiet würde den Menschen einen Schutz bieten, ohne dass sie in die Türkei fliehen müssten. Allerdings ist unklar, wer eine solche Zone gegen den Widerstand der syrischen Regierung durchsetzen würde.

Die türkischen Vorbereitungen zeigten, dass Ankara nicht von einer potenziell katastrophalen Entwicklung überrollt werden wolle, sagt Veysel Ayhan von der Ankaraner Denkfabrik Orsam. Einen Automatismus bei der Einrichtung einer Pufferzone in Syrien gebe es aber nicht. Für die Türkei gelten laut Ayhan zwei Bedingungen zur Realisierung einer Schutzzone: erstens eine riesige Flüchtlingswelle, die das bisherige Ausmaß von 16 000 Menschen weit überschreiten und die Türkei klar überfordern würde – „wir reden hier nicht über zehntausend, sondern sondern hunderttausend Menschen“. Und zweitens internationale Absicherung und Unterstützung.

Der internationale Aspekt wird bei der Syrien-Konferenz am 1. April in Istanbul eine wichtige Rolle spielen. Die „Freunde Syriens“, westliche und arabische Staaten, die den Druck auf den syrischen Präsidenten Baschar al Assad erhöhen wollen, werden am Bosporus über Wege aus der Krise beraten. Erdogan hat angekündigt, Gastgeberin Türkei wolle konkrete Resultate durchsetzen. Die Istanbuler Konferenz werde „ganz andere Ergebnisse“ hervorbringen als die bisherigen Friedensbemühungen, sagte der Ministerpräsident vergangene Woche.

Wie rasch das Thema Schutzzone aktuell werden könnte, weiß niemand. Neue schwere Gefechte in Syrien könnten leicht eine große Fluchtwelle auslösen, sagt Ayhan. „Das kann ganz schnell gehen, dann kommen Hunderttausende innerhalb einer Woche.“

Bisher hat Assad alle Forderungen nach einem Einlenken im Vorgehen gegen die Opposition und nach einem Rücktritt abgelehnt. In der syrischen Herrscherfamilie gibt es nach Informationen aus Oppositionskreisen aber hitzige Debatten über eine Exil-Lösung. Das in Syrien gut vernetzte Nachrichtenportal „All4Syria“ aus Dubai berichtete, Assads Mutter Anisa Machluf wolle, dass die gesamte Familie das Land verlasse. Andere Angehörige des mächtigsten Assad- Clans sollen sich jedoch strikt gegen die Exil-Idee ausgesprochen haben.

Syriens Regime setzte derweil seine Offensive in den Protesthochburgen fort, landesweit starben nach Angaben von Aktivisten mindestens zwölf Menschen, darunter zwei Kinder. Die oppositionelle Freie Syrische Armee, die von Deserteuren gegründet wurde, hat die Region nach eigenen Angaben verlassen. Zuletzt hatten Truppen des Regimes bereits Kontrolle über die Stadt Idlib und zuvor über das lange umkämpfte Viertel Baba Amr in Homs übernommen. mit dpa

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