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Oppositionsführerin Julia Timoschenko bei ihrer Rede auf dem Maidan zur nach ihrer Freilassung am Samstag.

© dpa

Update

Oppositionsführerin auf dem Maidan: Timoschenko: Der Kampf in der Ukraine ist nicht zu Ende

Oppositionsführerin Timoschenko hat auf dem Maidan eine emotionale Rede gehalten, Tausende jubelten ihr zu. Grenzpolizisten stoppten unterdessen ein Flugzeug mit dem ukrainischem Präsidenten Janukowitsch. Er hatte zuvor einen Rücktritt abgelehnt.

Die ukrainische Oppositionsführerin Julia Timoschenko hat die Regierungsgegner zum weiteren Kampf gegen Präsident Viktor Janukowitsch aufgefordert. „Kämpft bis zum Ende!“, sagte sie am Samstag auf dem Unabhängigkeitsplatz (Maidan) in Kiew.

Sie sprach unter starkem Jubel mit zitternder Stimme zu Zehntausenden Menschen, während sie im Rollstuhl saß. Sie war wenige Stunden zuvor aus ihrem Haftkrankenhaus in Charkow entlassen wurden. Die emotionale Rede rührte viele Menschen auf dem Platz zu Tränen. Auch Timoschenko selbst rang mit der Fassung.

„Helden sterben nie, sie sind immer mit uns“, sagte die frühere Regierungschefin im Andenken an die vielen Toten unter den Demonstranten. „Als Scharfschützen mit Kugeln in die Herzen unserer Jungen feuerten, trafen sie auch unsere Herzen, und dort werden diese Wunden immer bleiben“, sagte sie. „Wir haben es nicht auf friedliche Weise erreicht, aber diese Jungen haben das Ende der Diktatur erreicht“, sagte sie. Die Täter müssten bestraft werden.

Grenzpolizei stoppt Flugzeug mit ukrainischem Präsidenten

Immer wieder warnte sie davor, den Maidan jetzt zu räumen. „Wenn irgendjemand Euch sagt, Ihr sollt nach Hause gehen, traut ihm nicht, geht bis zum letzten Schritt!“, sagte die Politikerin. „Ihr müsst bleiben bis zum Ende, bis Politiker gewählt sind, die das Vertrauen verdienen. Wir müssen es vollenden. Ihr habt ein neues Land verdient. Erlaubt ihnen nicht, ein Land aufzubauen, das ihr nicht wollt!“, betonte Timoschenko.

Nach ihrer Freilassung wird Julia Timoschenko jubeln willkommen geheißen.
Nach ihrer Freilassung wird Julia Timoschenko jubeln willkommen geheißen.

© AFP

Der ukrainische Grenzschutz hat am Samstagabend nach eigenen Angaben ein Flugzeug mit Präsident Viktor Janukowitsch kurz vor dem Abflug gestoppt. Janukowitsch habe - begleitet von bewaffneten Sicherheitsleuten - ohne die übliche Grenzabfertigung von der Stadt Donezk aus fortfliegen wollen. Das sagte der Sprecher des Grenzschutzes, Sergej Astachow, der Agentur Interfax. Astachow zufolge war unklar, wohin der Staatschef reisen wollte. Janukowitsch sei letztlich aus dem Flugzeug ausgestiegen und habe den Ort in einer gepanzerten Limousine verlassen.

Die Opposition hat in Kiew die Macht übernommen

Einen Tag nach der Einigung zwischen Opposition und bisheriger Staatsführung der Ukraine über die Zukunft des Landes haben die Regierungsgegner zusehends die Macht übernommen. In Kiew erklärte das Parlament Präsident Viktor Janukowitsch für abgesetzt und ordnete Neuwahlen für den 25. Mai an. Der Staatschef übe sein Amt nicht aus und habe sich widerrechtlich Vollmachten angeeignet, erklärten die Abgeordneten. Polizei und Armee kündigten Janukowitsch die Gefolgschaft.

Oppositionsführerin Timoschenko kam nach mehr als zweieinhalb Jahren Haft wieder frei und erklärte, sie wolle bei der nächsten Präsidentenwahl wieder antreten.

Janukowitsch flog in seine Hochburg Charkiw im Osten des Landes. Er lehnte einen Rücktritt ab.„Ich werde das Land nicht verlassen, ich habe nicht vor zurückzutreten“, sagte Janukowitsch in einer Fernsehansprache aus Charkiw. Er sei weiterhin „der rechtmäßig gewählte Präsident“. „Das Land erlebt einen Staatsstreich“, sagte Janukowitsch. Am Samstag vom Parlament in Kiew verabschiedete Gesetze nannte er „rechtswidrig“.

Er werde den jüngsten Entscheidungen des Parlaments nicht zustimmen, sagte der Staatschef: „Alles, was derzeit in diesem Parlament geschieht, ist Banditentum.“ Er habe das Gefühl, dass seine Sicherheit und die Sicherheit seiner Vertrauten von den Demonstranten in Kiew bedroht werde, sagte Janukowitsch weiter. „Auf mein Auto wurde geschossen. Aber ich habe keine Angst.“ Er fügte hinzu, dass ihm die internationalen Vermittler, die bei der Unterzeichnung des Abkommens zwischen dem Präsidenten und der Opposition geholfen haben, „Sicherheitsgarantien“ gegeben hätten. „Das ist keine Opposition“, sagte Janukowitsch über die Protestbewegung. „Das sind Verbrecher.“

Janukowitsch: „Wiederholung des nationalsozialistischen Umsturzes der 1930er Jahre in Deutschland“

Der bisherige Parlamentspräsident Wladimir Rybak sei verprügelt worden und werde nun in einem Krankenhaus im ostukrainischen Donezk behandelt, behauptete Janukowitsch. Weiter sagte er: „Wir sehen die Wiederholung des nationalsozialistischen Umsturzes der 1930er Jahre in Deutschland.“ Hunderte Büros seiner Regierungspartei seien angezündet worden, er sowie ranghohe Politiker bedroht worden.

Das Parlament erklärte kurz darauf in einer Resolution, Janukowitsch komme seinen Verpflichtungen nicht mehr nach, und stimmte mit überwältigender Mehrheit für Timoschenkos Freilassung. Sie war im Jahr 2011 wegen Amtsmissbrauchs zu sieben Jahren Haft verurteilt worden. Alexander Tjurtschjanoi wurde zum Vorsitzenden des Parlaments gewählt, Arsen Awakow zum Innenminister. Beide sind Vertraute Timoschenkos.

Angesichts der Entwicklungen zweifelten Verantwortliche mehrerer prorussischer Regionen im Osten und Süden der Ukraine die Legitimität des Parlaments an. Die Vertreter örtlicher Regierungen und Parlamente beklagten in Charkiw eine „Lähmung der Zentralmacht“ und eine „Destabilisierung der Regierung“. Der neugewählte Parlamentspräsident Tjurtschjanoi kündigte derweil an, zur „normalen Ordnung“ zurückkehren zu wollen. Der Osten der Ukraine gilt als überwiegend russlandfreundlich, der Westen als vornehmlich proeuropäisch.

Die Polizei wechselte auf die Seite der Opposition. Die Sicherheitskräfte stünden „an der Seite der Bevölkerung“, teilte das Innenministerium mit. „Wir würdigen die Toten“ der Zusammenstöße in Kiew, hieß es weiter. Bei den Straßenschlachten waren fast 80 Menschen getötet worden. Die ukrainische Armee kündigte ihre Neutralität in dem Konflikt an. „Die Streitkräfte sind dem ukrainische Volk treu“, hieß es in einer Erklärung.

Janukowitschs Residenz in einem Vorort von Kiew war verlassen, Journalisten und Neugierige konnten ungehindert eindringen. Im Zentrum Kiews standen Demonstranten nur 50 Meter vom Eingang des Präsidentensitzes entfernt.

Am Freitag hatten sich Janukowitsch und die Oppositionsführer unter Vermittlung von Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) und seinen Kollegen aus Polen und Frankreich, Radoslaw Sikorski und Laurent Fabius, auf die Bildung einer Übergangsregierung und die Änderung der Verfassung geeinigt. Steinmeier warnte am Samstag, die Lage in der Ukraine bleibe „höchst fragil“.

US-Präsident Barack Obama und Russlands Präsident Wladimir Putin berieten telefonisch über die Krise. Sie seien sich einig gewesen, dass den Vereinbarungen nun schnell Taten folgen müssten, sagte ein US-Regierungsvertreter. Das Außenministerium in Moskau erklärte später, die ukrainische Opposition habe keine einzige ihrer Verpflichtungen erfüllt und neue Forderungen aufgestellt. Sikorski betonte, die Ereignisse in der Ukraine seien kein Staatsstreich. (mit dpa/AFP)

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