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In Zukunft wird der Organspende-Ausweis in seiner alten Form nicht mehr gebraucht. Alle Versicherten werden regelmäßig zu ihrer Spendebereitschaft befragt.

© dapd

Organspende: Was bringen die neuen Gesetze?

Tausende schwerkranke Menschen warten auf eine Organtransplantation. Doch die Zahl der Spenden stagniert seit Jahren. Das soll sich nun ändern.

Mit der erwarteten breiten Mehrheit hat der Bundestag am Freitag eine umfassende Reform der Organspende in Deutschland verabschiedet. Konkret handelt es sich dabei um zwei Gesetze. Zum einen beschlossen die Abgeordneten, dass künftig alle Bürger über 16 in regelmäßigen Abständen zu ihrer Spendebereitschaft befragt werden. Daneben einigten sie sich auf eine bessere Organisation der Organspende, vor allem in den Kliniken.

Warum waren die Reformen nötig?

Erklärtes Ziel des Ganzen ist es, die Organspendebereitschaft zu befördern und mehr Transplantationen zu ermöglichen. Trotz medizinischer Fortschritte nämlich stagniert die Zahl der Spenderorgane seit Jahren. Rund 12 000 Menschen stehen momentan auf den Wartelisten. Und jährlich sterben gut 1000, weil es nicht möglich ist, ihnen rechtzeitig ein geeignetes Organ zu besorgen. Im vergangenen Jahr ging die Zahl der Spender nochmals um 7,4 Prozent zurück – von 1296 auf 1200. Die Zahl der gespendeten Organe sank von 4205 auf 3917. Dabei ist die Bereitschaft der Deutschen, anderen mit eigenen Organen das Leben zu retten, beachtlich. Umfragen zufolge wären 76 Prozent der Frauen und 74 Prozent der Männer dazu bereit.

Das Problem daran ist der Konjunktiv. Faktisch nämlich besitzt nur jeder vierte einen Spenderausweis. Hinter dieser Kluft von Theorie und Praxis, so die Mutmaßung der Politik, stecke vielfach Bequemlichkeit und fehlende Information. Man wolle den Menschen deshalb „mehr auf die Pelle rücken“, sagte SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier ganz ungeschminkt. Außerdem habe das Transplantationsgesetz aus dem Jahr 1997 die Erwartungen nicht erfüllt, denn viele potenzielle Spender würden von den Kliniken gar nicht gemeldet.

Was ändert sich für die Bürger?

Alle über 16-Jährigen erhalten von ihrer Krankenversicherung künftig in regelmäßigen Abständen die Aufforderung, sich zu ihrer Spendenbereitschaft zu äußern – garniert mit Info-Material und einem nur noch auszufüllenden Spendenausweis. Bislang mussten sie sich diesen auf eigene Initiative hin besorgen. Allerdings werden sie weder zu einem „Ja“ gedrängt, noch sind sie verpflichtet, sich überhaupt zu äußern – was manchem Kritiker nicht weit genug geht. Es wäre besser gewesen, wenn sich jeder hätte festlegen müssen, sagte etwa der Chef der Techniker Krankenkasse, Norbert Klusen – der seit vier Jahren selber mit einer Spenderleber lebt. Doch gegen solchen mit Sanktionsdrohungen versehenen Druck hatte sich vor allem die Union gewehrt. Das Recht, sich nicht oder später zu entscheiden, stehe jedem zu, argumentierte Fraktionschef Volker Kauder. Allerdings gebe es kein Recht, das heikle Thema ganz ausblenden zu dürfen. Auch bei Behördengängen sollen die Unentschiedenen nun beharrlich damit konfrontiert werden. In einigen Jahren kann die Organspendebereitschaft dann auch auf der elektronischen Gesundheitskarte vermerkt werden.

Wie ändern sich die Strukturen?

Experten zufolge geht in Deutschland rund die Hälfte der verfügbaren Organe verloren, weil potenzielle Organspender nicht identifiziert oder nicht gemeldet werden. Das liege daran, „dass Ärzte im Klinikalltag ohnehin überlastet sind und das Leben der Patienten, die noch nicht verstorben sind, natürlich wichtiger ist als die Vorbereitung eines Hirntoten zur Organspende“, sagte der CDU-Europapolitiker und gelernte Mediziner Peter Liese. Mit der Gesetzesänderung werden nun die rund 1350 Kliniken, die mit Intensivstationen auch für Organtransplantationen gerüstet sind, stärker in die Pflicht genommen. Sie müssen künftig Transplantationsbeauftragte beschäftigen, deren Aufgabe es ist, sich um potenzielle Organspender zu kümmern und das Gespräch mit Angehörigen zu suchen. Es gibt neue Qualitäts- und Sicherheitsstandards für Entnahmekrankenhäuser und Transplantationszentren. Und die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO), die den Ablauf der Organspenden deutschlandweit koordiniert und durch Unregelmäßigkeiten in die Schlagzeilen geraten ist, wird stärker überwacht und muss dem Gesundheitsausschuss regelmäßig Bericht erstatten.

Was ändert sich und welche Einwände gibt es?

Was ändert sich für Organspender?

Dank der erhöhten Sensibilität in den Kliniken wird es wahrscheinlicher, dass ihrem Wunsch im Todesfall, wenn medizinisch möglich, auch entsprochen wird. Und ganz konkrete Verbesserungen gibt es für so genannte Lebendspender. Wer Angehörigen oder Freunden zu Lebzeiten mit einem Organ hilft, ist sozialrechtlich bisher schlecht abgesichert. Oft müssen Spender für die Organübertragung Urlaub nehmen und sich bei Folgeproblemen dann jahrelang um die Kostenübernahme streiten. Er kenne „haarsträubende Schilderungen“, wie Betroffene von Versicherern und Arbeitgebern „im Regen stehen gelassen wurden“, berichtete SPD-Fraktionschef Steinmeier, der seiner Frau im August 2010 selbst eine Niere gespendet hat. Vor allem private Krankenversicherer stellten sich in der Vergangenheit quer. Künftig hat jeder Lebendspender deshalb klar geregelte Ansprüche auf Krankenbehandlung, Vor- und Nachbetreuung, Rehabilitation und Krankengeld. Das alles hat die Krankenkasse des Organempfängers zu bezahlen. Arbeitgeber werden auf die übliche Entgeltfortzahlung für sechs Wochen verpflichtet. Die gesetzliche Unfallversicherung übernimmt alle Folgeschäden, die „über eine regelmäßig entstehende Beeinträchtigung hinausgehen“.

Welche Einwände gibt es?

Die regelmäßige Behelligung der Bürger mit dem Tabuthema Tod stößt erstaunlicherweise nicht groß auf Kritik. Angesichts der Not derer, die auf Organe angewiesen sind, sei diese „Zumutung“ hinzunehmen, heißt es. Wegen der vorgesehenen Möglichkeit, die Organspendebereitschaft auch auf der elektronischen Gesundheitskarte registrieren zu lassen, fürchten Grüne und Linkspartei allerdings um den Datenschutz. Sie ärgern sich, dass die Unregelmäßigkeiten bei der DSO und deren lockerer Umgang mit Versichertengeldern nicht zu einer Neustrukturierung mit mehr Transparenz und besseren Kontrollmöglichkeiten geführt haben. Nach Ansicht mancher hätte auch intensiver über die Definition des Todeszeitpunkts sowie über das Problem, Organspendebereitschaft mit Patientenverfügungen zusammenzubringen, nachgedacht werden müssen. Und schließlich stören sich Grüne und Linke an einem Gesetzespassus, wonach personenbezogene Daten von Organspendern und -empfängern auch ohne deren Einwilligung für Forschungszwecke der Pharmaindustrie überlassen werden dürfen.

Weshalb erlaubt der Gesetzgeber die Weitergabe persönlicher Spender-Daten?

Aufgrund von Abstoßungsreaktionen sind Organempfänger lebenslang auf Medikamente mit teils sehr schweren Nebenwirkungen angewiesen. Mit Blick auf diese Menschen und ihre Lebenserleichterung besteht ein erhöhtes Forschungsinteresse. Und um bestimmte körperliche Reaktionen zu verstehen, ist auch das Wissen um vorausgegangene Lebensumstände von Spendern und Empfängern wichtig. Dazu gehören überstandene Infektionskrankheiten, Alkohol- oder Medikamentenkonsum.

Im Regelfall werden solche Daten anonymisiert, oder für die Weitergabe personenbezogener Daten wird eine Einwilligung eingeholt. Allerdings ist dies mitunter, etwa beim plötzlichen Unfalltod eines Spenders, nicht rechtzeitig möglich. Nur dann, und wenn die Nutzung zu rein kommerziellen Zwecken ausgeschlossen ist und einem Forschungsinteresse dient, dürfen die Daten ohne Einwilligung weitergegeben werden.

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