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Gruppenbild mit Altkanzler. Helmut Kohl, Ernst Freiberger (2. v. r.), Hermann Parzinger von der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und die Künstlerin Christine Dewerny. Foto: dpa

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ORTSTERMIN: Das Kriegskind und die Mutter

Er ist ein Kind des Krieges, der ihn geprägt hat wie nichts anderes, und selten ist das so klar geworden wie an diesem Mittwoch in Berlin. Helmut Kohl hat seit seinem Unfall öfter Reden gehalten.

Von Robert Birnbaum

Er ist ein Kind des Krieges, der ihn geprägt hat wie nichts anderes, und selten ist das so klar geworden wie an diesem Mittwoch in Berlin. Helmut Kohl hat seit seinem Unfall öfter Reden gehalten. Die meisten musste man erahnen, so schwer fanden die Worte aus dem gelähmten Mund. Noch am Montagabend blieb von seiner Ansprache zum Abschied des alten CSU-Recken Michael Glos wenig mehr als: „Er ist einer von uns.“

Aber jetzt thront er in seinem Rollstuhl im Foyer des Spreebogens in Moabit, und er wird neun Minuten ohne jedes Manuskript, hoch konzentriert und sehr gut verständlich reden über eine Frau, die für seine Politik vielleicht wichtiger war als jede andere. Die Ernst-Freiberger-Stiftung hat geladen, um am Spreeufer eine Büste von Käthe Kollwitz zu enthüllen. Helmut Kohl ist gekommen, um der Pazifistin die Ehre zu erweisen.

Man hat dieses Verhältnis zwischen der Künstlerin der kleinen Leute und dem Mächtigen damals schon erahnen können, im Winter 1992/93. Kohl hatte in sein Amt geladen, um eine kleine Bronzefigur zu zeigen, die seit Jahren als Leihgabe in seinem Büro stand. Eine trauernde Mutter, über den toten Sohn gebeugt – fast zärtlich hielt der Riese sie in seinen Pranken. Eine vergrößerte Replik dieser Pietà wollte er ins Zentrum eines Bundesehrenmals des wiedervereinigten Deutschland in der Neuen Wache setzen. „Niemand hat so sehr unter der Furie des Krieges gelitten wie die Mütter“, hat Kohl gesagt. Die halbe Intelligenzia der Republik schrie auf. Aber weil damals geschah, was der Kanzler der Einheit wollte, hat er die Kollwitz durchgesetzt.

Seine Hände sind immer noch groß, doch mager und sehnig geworden; die Statue so halten wie vor 20 Jahren könnten sie nicht mehr. Aber sein Geist ist hellwach. „Käthe Kollwitz ist nicht irgendjemand“, sagt er. „Wer in Europa dem Frieden dienen will, muss an Käthe Kollwitz denken.“ Und: „Vieles von dem, was Käthe Kollwitz ausmacht, ist ein Teil unseres Volkes geworden.“

Hermann Parzinger, der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, wird später an das erinnern, was Kollwitz ausmachte: Sozialistin mit revolutionärem Elan, im Kaiserreich von Wilhelm II. höchstselbst als „Rinnstein“-Künstlerin geschmäht – und eine gebrochene Frau. Sie hatte ihren Sohn Peter gegen den Vater unterstützt, als der 18-Jährige sich im August 1914 zu den Waffen meldete. Zwei Monate später lag er tot auf dem Schlachtfeld in Flandern. Im Zweiten Weltkrieg wird ihr ältester Enkel in Russland fallen, wieder ein Peter.

„Die Deutschen wollen keinen Krieg“, sagt Kohl, „die Deutschen wollen Frieden.“ Dass das selbstverständlich geworden sei, daran habe Kollwitz großen Anteil: „Diese Frau hat Signale gesetzt!“ Sie hat es vor allem wohl für ihn. Der kleine Helmut hat das Entsetzen gelernt, als sein eigener Bruder fiel. Nach ihm hat er seinen ältesten Sohn Walter genannt. Der Jüngere aber heißt Peter.

Und auf einmal ist die ganze Zärtlichkeit wieder da, mit der er damals die Statue trug. Das ist, als Kohl über Kollwitz’ Tod in den letzten Kriegstagen spricht: „Sie ist zu einem Zeitpunkt gestorben, als es Nacht wurde über Deutschland, und sie hat eine große Helligkeit verbreitet.“

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