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ORTSTERMIN: Das Privileg des Todes

Der Erfinder der Selbsttötungsmaschine diskutiert über Sterbehilfe. Auch hinsichtlich des Todes gibt es eine Zwei-Klassen-Gesellschaft, meint er. Die Reichen dürfen sterben - die Armen nicht.

Sein Werkzeug ist die Schere zwischen Arm und Reich, mit ihr schneidet er mitten hinein ins Thema Sterben. „Wir haben eine Zwei-Klassen-Gesellschaft in Deutschland, was den Tod angeht“, sagt Roger Kusch und was er damit meint, bedeutet auf eine Kurzformel gebracht: Die Reichen dürfen’s, die Armen nicht. Roger Kusch, früherer Hamburger Justizsenator, Erfinder einer Selbsttötungsmaschine, ist geladen zum Gespräch über Sterbehilfe auf dem Hauptstadtkongress 2008 Medizin Gesundheit im Berliner ICC. Hier ist das Sterben ein wenig ausgelagert, es liegt ganz hinten in einem Zwischengeschoss, oberhalb der Plakate, die für Seniorenzentren werben, und der Fotoausstellung gegen Rauchen. „Ethisches Café“ steht dort in grau auf einem Plakat, so als dürften die Farben bei bestimmten Themen nicht zu fröhlich sein, und davor sitzt Roger Kusch gemeinsam mit dem Vizepräsidenten der Bundesärztekammer Frank Ulrich Montgomery und dem Medizinethiker Dominik Groß.

Allein unter Medizinern bemüht sich Kusch die politische Note des Themas zu betonen. Seinen Posten in Hamburg verlor er 2006 wegen eines Justizskandals, im März 2008 machte er mit einem Automaten zur Selbsttötung auf sich aufmerksam. Hört man Kusch nun sprechen, klingt sein Engagement für Sterbehilfe fast nach Klassenkampf. Die Reichen, sagt er, könnten es sich leisten, in die Schweiz zu fahren und die Dienste von Dignitas in Anspruch zu nehmen, wenn sie todkrank wären. Arme müssten sehen, wo sie blieben. Montgomery und Groß holen sich das Thema immer wieder ins medizinische Terrain zurück, gehen auch mit ihrem eigenen Berufsstand hart ins Gericht. Hinter einem Sterbewunsch stecke oft die Angst vor schlechter Krankenversorgung, sagt Groß. Und Montgomery sagt, dass die Palliativmedizin ausgebaut werden müsse, da momentan nur 0,8 Prozent der Menschen, die im Krankenhaus stürben, eine solche Behandlung bekämen. Beide sprechen sie davon, dass es gedauert habe, bis Ärzte Sterben nicht mehr als ihr Versagen begriffen und dass Medizinethik inzwischen zum Fächerkanon der angehenden Ärzte gehöre. Politisch werden sie nur einmal, als sie verlangen, dass das Arbeitsrecht Menschen, die Angehörige zu versorgen hätten, freistelle.

Dabei ereifert sich vor allem Montgomery, er rutscht auf seinem Sessel hin und her, schlenkert heftig den Fuß, wenn er etwas sagen will und nicht zu Wort kommt, notiert auf einem Zettel, den er aus seinem Jackett holt, welche Argumente der anderen nicht unwidersprochen bleiben dürfen. Das Wildeste an Roger Kusch dagegen sind seine modisch hochgeföhnten Haare, ansonsten wirkt er meist ungerührt, trotz der leidenschaftlichen Worte, die er bemüht. Er nennt es „das Ende der freien Gesellschaft“, wenn ein Sterbewunsch nicht respektiert werde. Er versucht immer wieder Parallelen zwischen dem Paragrafen 216 – dort ist die Tötung auf Verlangen geregelt – und dem Abtreibungsparagraf 218 herzustellen. Früher, sagt Kusch, hätten schwangere Frauen nach Amsterdam fahren müssen, heute müssten Krebskranke in die Schweiz. „Das Sterben ist für einen todkranken Menschen eine genauso wichtige Frage wie für Frauen die Abtreibung“, sagt er.

Was die drei Diskussionspartner eint, ist ihre Distanz zum Thema Sterben, sie halten es mit groß klingenden Begriffen von sich weg. Sei es, dass Dominik Groß von einer „flächendeckenden Implementierung der Palliativmedizin“ spricht oder Kusch sagt, er präferiere das Schweizer Modell. Heruntergeholt wird das Sterben dort im Zwischengeschoss erst am Schluss von einer Zuhörerin. Das Problem mit dem Tod sei, dass man nicht offen über ihn spreche, sagt sie. „Deshalb haben wir alle Angst.“ Und dann sagt sie noch, Kusch habe wohl etwas durcheinandergebracht. Das Privileg der Reichen sei nicht der Tod, sondern die Gesundheit. Verena Friederike Hasel

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