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ORTSTERMIN: Habermas weckt schlafende Hunde

Eigentlich ist es eine abwegige Vorstellung, dass sich zwei glühende Europa- Fans wie Jürgen Habermas und Joschka Fischer Kampagnen für eine Rückkehr der D-Mark wünschen, gefährlich laute Kritik an deutschen EU-Zahlungen fordern und eine Meinungsschlacht über den Vorrang nationaler Interessen befürworten. Doch genau um eine solche Debatte haben der Ex-Außenminister und der Philosoph und Soziologe aus Frankfurt am Main am Mittwochabend in Berlin gebeten – aus gewissermaßen demokratisch-pädagogischen Gründen.

Von Hans Monath

Eigentlich ist es eine abwegige Vorstellung, dass sich zwei glühende Europa- Fans wie Jürgen Habermas und Joschka Fischer Kampagnen für eine Rückkehr der D-Mark wünschen, gefährlich laute Kritik an deutschen EU-Zahlungen fordern und eine Meinungsschlacht über den Vorrang nationaler Interessen befürworten. Doch genau um eine solche Debatte haben der Ex-Außenminister und der Philosoph und Soziologe aus Frankfurt am Main am Mittwochabend in Berlin gebeten – aus gewissermaßen demokratisch-pädagogischen Gründen.

Doch der Reihe nach: Die Stiftung Mercator und das „European Council on Foreign Relations“ hatten die wortmächtigen Vertreter linken Denkens und linker Politik gemeinsam mit einem Europarechtler und einem Ökonomen zur Debatte über „Europa und die Wiederentdeckung des deutschen Nationalstaats“ geladen. Und das, so stellte sich schnell heraus, ist ein Thema, das beide zu argumentativer Höchstform treibt.

Mit Verve und Schärfe attackierte der bald 82-jährige Philosoph den Umgang der Kanzlerin und der politischen Elite in Deutschland mit Europa. Nur widerstrebend lasse sich die „Europaskeptikerin Merkel“ auf mehr Integration ein. Nie sei der „Vorrang nationaler Rücksichten so blank in Erscheinung getreten“ wie bei ihrer Blockade der Hilfe für Griechenland und des Rettungsschirms vor der NRW- Wahl 2010. Undemokratisch nannte Habermas den EU-Pakt zur besseren Koordinierung der Wirtschafts- und Finanzpolitik, bei dem das Volk nicht gefragt werde. Er sehe die Gefahr, dass Europa „einen schleichenden Tod erleidet, von dem keiner weiß, wie lange das dauert“. Auch den Umgang mit dem Plagiatsfall Guttenberg hat der Philosoph Merkel nicht vergessen: „Kühl kalkulierend“ habe sie „für ein paar Silberlinge, die sie an den Wahlurnen dann doch nicht hat einstreichen können, das rechtsstaatliche Amtsverständnis kassiert“.

Dem Befund des Vorredners, wonach der „Führungsanspruch eines europäischen Deutschlands in einem deutsch geprägten Europa“ immer unverhohlener werde, stimmte Fischer zu: „Das ist nicht Ausdruck einer strategischen Kehrtwende, aber es geschieht.“ Wenn sich Deutschland nicht als Motor zur Vollendung der europäischen Integration begreife, blockiere das alles, warnte der Ex-Außenminister: „Dann wird das europäische Projekt gefährdet.“ Der Fundamentalkritik des Philosophen am Legitimationsdefizit der EU-Entscheidungen aber widersprach er: „Wahrscheinlich geht es nur intergouvermental.“

Vermutlich, so Fischers düsteres Fazit, helfe nur eine erstarkende antieuropäische Bewegung, die dann die europa- müde Regierung und die Opposition zwinge, für die Integration wie um die eigene Existenz zu kämpfen: „Ich hoffe, dass damit Druck ausgelöst wird, der den demokratischen Prozess anschiebt.“

Der Ex-Außenminister mit dem Habitus eines Genussmenschen sprach damit dem hageren, asketisch wirkenden Philosophen wieder ganz aus der Seele. Tatsächlich gehe es darum, „alle die schlafenden Hunde zu wecken“, meinte Habermas an Fischers Adresse: „Da bin ich ganz auf Ihrer Seite.“ Vielleicht ist es ganz einfach so, dass im Interesse des europäischen Fortschritts die List der Vernunft auch manchmal zur Unvernunft greifen muss.

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