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„Gunst der Studie“. Angela Merkel am Mittwoch mit de Maizière. Foto: dpa

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ORTSTERMIN: Heiße Tränen

„Tüchtig“ sei sie gewesen, die Angela Merkel, sagt Lothar de Maizière, der letzte DDR-Ministerpräsident. Damals als seine Regierungssprecherin und ebenfalls „in allen weiteren Verwendungen“.

Von Matthias Meisner

„Tüchtig“ sei sie gewesen, die Angela Merkel, sagt Lothar de Maizière, der letzte DDR-Ministerpräsident. Damals als seine Regierungssprecherin und ebenfalls „in allen weiteren Verwendungen“. Soeben war die heutige Kanzlerin so nett, im Keller des Berliner Kulturkaufhauses Dussmann sein Buch vorzustellen (Titel: „Ich will, dass meine Kinder nicht mehr lügen müssen“), 340 Seiten Reflexion des CDU- Politikers auf die elf Monate vom Mauerfall bis zur deutschen Einheit.

„Ich war kein Politiker, und vielleicht bin ich es auch nie ganz geworden“, räumt de Maizière im ersten Satz seines Buches ein. Er hatte seine Zeit vor 20 Jahren, und das ist damals nach den Worten Merkels ein „Glücksfall“ gewesen. Aber eben auch nur einer von mehreren, denn dass der letzte Regierungschef des untergegangenen deutschen Staates mit der Rolle von Helmut Kohl im Vereinigungsprozess hadert, will die heutige Kanzlerin nicht akzeptieren. An de Maizière lobt sie, dass er als Musiker ein Bewusstsein für Harmonie und die Auflösung von Disharmonie gehabt habe, den „geordneten Übergang“ zur deutschen Einheit gewollt habe. An Kohl wiederum „Mut, Entschlossenheit und Weitsicht“. Beide hätten auf ihre Weise die Gunst der Stunde genutzt. Doch ohne Kohl damals als Kanzler? „Nicht auszudenken“, sagt Merkel.

Sie hat das Buch offenkundig gelesen, zitiert aus vielen Passagen und kommt zu dem Schluss, es handele sich um ein „Dokument ostdeutscher Selbsterkenntnis“. De Maizière selbst gibt zu, dass er „sehr viel stärker als Angela DDR-sozialisiert“ sei, „eine Generationenfrage“, wegen der es Merkel auch sehr viel besser gelungen sei, eine gesamtdeutsche Politikerin zu werden. Über die Frage, ob die DDR ein Unrechtsstaat gewesen oder nur „auf Unrecht gegründet“ gewesen sei, will er „heute nicht mehr rätseln“. Wenigstens sei er sich heute mit der Kanzlerin einig, dass die DDR von der Volkskammerwahl im März bis zum 2. Oktober 1990 „kein Unrechtsstaat“ gewesen sei. Der Alt-Bundesrepublik hält de Maizière vor, keine Planung für die deutsche Einheit gehabt zu haben. „Sie hielt sich ein Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen. Besser wäre eines für gesamtdeutsche Antworten gewesen.“ Der ostdeutsche Autor leistet sich einen westdeutschen Ko-Autor, Volker Resing. Der habe „ostdeutsche Begriffe“ in „gesamtdeutsche Vokabeln“ übersetzt. Und „glättete“ nach den Worten de Maizières, „wo ich drohte, aufs Glatteis zu geraten“.

Übrigens kommt in dem Buch an zwölf Stellen die Rede auf Gregor Gysi, nur fünfmal auf Merkel. Mit dem Anwaltskollegen und heutigen Vorsitzenden der Linksfraktion im Bundestag ist der Ex-DDR-Regierungschef bis heute befreundet, mit Merkel ist der Kontakt nur „nie ganz abgerissen“. De Maizière gibt preis, dass er Gysi in der Volkskammer tröstete, als der „heiße Tränen“ geweint habe über den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik.

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