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Wolfgang Thierse

© dpa

Ortstermin: Letzte Reden, ungehalten

Gesprochen hat er dann doch an seinem letzten und vorletzten Tag als Abgeordneter im Plenum des Deutschen Bundestags. Und nicht zu knapp: „Das waren jetzt sage und schreibe 85 Minuten – eine Stunde und 25 Minuten –, die ich hintereinander gelesen habe“, sagte Wolfgang Thierse.

Gesprochen hat er dann doch an seinem letzten und vorletzten Tag als Abgeordneter im Plenum des Deutschen Bundestags. Und nicht zu knapp: „Das waren jetzt sage und schreibe 85 Minuten – eine Stunde und 25 Minuten –, die ich hintereinander gelesen habe“, sagte Wolfgang Thierse. Da war es Freitagfrüh, fast eine Stunde nach Mitternacht. „Die Tagesordnung, steht hier, ist erschöpft. Ich auch.“ Er bitte, sagte der Bundestagsvizepräsident, „mir demnächst irgendeinen Geschäftsordnungsverdienstorden anzuhängen“. Ansonsten wünsche er, bis zur nächsten Sitzung in acht Stunden, den Kolleginnen und Kollegen, die mit ihm die Marathonsitzung vor der Sommerpause durchgestanden hatten, „eine ruhige Nacht“.

Knapp anderthalb Stunden gelesen also, will sagen: Tagesordnungspunkte aufgerufen, Abstimmungsergebnisse verkündet, neue Abstimmungen aufgerufen. Gelesen, aber nicht geredet, jedenfalls nicht im engeren Sinne des Wortes: Weil der Bundestag zum Ende dieser letzten Sitzungswoche vor der Sommerpause einen Marathon hinlegte und es zwischen Donnerstag und Freitagmorgen auf 16 Stunden brachte – die längste Sitzung seit vier Jahren –, konnte Thierse seine eigene Rede nicht mehr halten und tat mir ihr, was er an diesem Tag unzählige Mal von andern sagte: „Die Reden sind zu Protokoll gegeben.“ Rechnerisch hätte er sie Stunden später vortragen müssen – und dann sicher vor leeren Reihen.

Abgeheftet beziehungsweise ab ins Netz damit. Es wäre, nein, es war Thierses letzte Rede im Bundestag. Nach 23 Jahren als Abgeordneter, davon 15 im Präsidium des Parlaments, sieben als Präsident, verlässt der fast 70-jährige Berliner Sozialdemokrat zum Ende dieser Legislaturperiode den Bundestag. „Besser so, als davongejagt zu werden“, sagte er am Freitag im Deutschlandfunk. Da mag noch die Bundestagswahl 2009 nachklingen, als der Linke Stefan Liebich ihm das Direktmandat abknöpfte.

Und es waren im Grunde genommen auch zwei letzte Redebeiträge an diesem letzten Arbeitstag als Parlamentarier. Der zur „Aufarbeitung der SED-Diktatur“ war lediglich der vorletzte. Thierses tatsächlich letzter war ein kleiner Ausbruch zum Koalitionsantrag „Deutsche Sprache fördern und sichern“ und die sicher ungehaltenere von beiden. Was die Koalition da anstelle, sei „nichts weniger als empörend“, ein „wichtiges, ja edles Anliegen“ habe sie „in allerletzter Minute ins Plenum eingebracht, weit hinten auf die ohnehin ellenlange Tagesordnung gesetzt, direkt zur Abstimmung gestellt und mit Reden zu Protokoll spätnachts verabschiedet.“ Hier wetterten gleich zwei, der Germanist und Kulturwissenschaftler Thierse und der streitlustige Parlamentarier, über den sich die Union in mehr als zwei Jahrzehnten Einheit mehr als einmal geärgert hat.

Es gab dann am Freitag noch einen Sozialdemokraten, der sich verabschiedete. Auch seine eine ungehaltene Rede, allerdings nur im wörtlichen Sinn. Thierse, erneut als Präsident im Dienst, schloss die die Sitzung kurz nach 16 Uhr. Zuvor war die Bremer Linken-Abgeordnete Agnes Alpers im Plenum zusammengebrochen; ein Notarzt kam.

Danach ging es noch ein wenig rascher, auch Hans-Ulrich Klose musste seine letzte Rede zu Protokoll geben. Klose vertrat sein Hamburg dreißig Jahre lang im Bundestag. Er war SPD-Fraktionsvorsitzender, Außenpolitiker, und zeitweise Koordinator für die deutsch-amerikanische Zusammenarbeit. Zum Schluss war er ganz Atlantiker. Seine Rede zum 50. Jahrestag von Kennedys Berlin-Besuch schloss mit Dank an die Kolleginnen und Kollegen, namentlich an Ruprecht Polenz von der CDU, den Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses, für gute Zusammenarbeit: „Besser geht’s nicht“, heißt es in Kloses Redetext. So solle er bleiben, der Bundestag, „ein Arbeitsparlament, mit viel Sachverstand und begabt mit der Fähigkeit und Bereitschaft zum Kompromiss“. Vielleicht auch eine Art zu sagen: „Ish bin ein Bearleener.“

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