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ORTSTERMIN: Lust am Ausgelastetsein

Irgendwann kommt alles raus. „Das war der Punkt, das war nicht weit von Kreuth“, sagt Edmund Stoiber.

Von Robert Birnbaum

Irgendwann kommt alles raus. „Das war der Punkt, das war nicht weit von Kreuth“, sagt Edmund Stoiber. Er lächelt Angela Merkel an, jetzt, wo das alles Jahre zurückliegt. Durch den Raum im Gebäude der Deutschen Bank am Gendarmenmarkt weht ein Hauch von entspanntem Weißt-du-noch. Der Ex-Ministerpräsident und Ex-CSU-Vorsitzende hat ein autobiografisches Buch geschrieben, die Kanzlerin und CDU-Vorsitzende stellt es vor. „Als vorsichtiger Mensch“ habe sie sich ausgebeten, vor ihrer Zusage erst das fertige Werk zu lesen, sagt Merkel. Die Vorsicht war mehr als überflüssig. Unter den Terminen mit Ehemaligen, die sich an diesem Dienstag für Merkel ja ein wenig häufen, entpuppt sich die Begegnung mit dem vormaligen Widersacher als die reine Freude.

Das war nicht immer so. „Wir haben uns an einigen Stellen nichts geschenkt“, sagt die Laudatorin. Doch im Rückblick schnurrt selbst das Frühstück in Wolfratshausen, bei dem die CDU-Chefin im Machtkampf um die Kanzlerkandidatur 2002 kapitulierte, zur Anekdote zusammen. Karin Stoiber habe gut für 20 Gäste aufgefahren, erinnert sich Merkel, aber: „Ich glaube, jeder hat da nur höflichkeitshalber an ’ner Semmel genagt.“

Die ernste Krise, die Stoiber an Spaltung denken ließ, kam zwei Jahre später. Merkel wollte der Union die Gesundheitsprämie verordnen, die CSU widersprach. In der Parlamentarischen Gesellschaft sind sie aneinandergeraten. Und obwohl Merkel – nur halb im Scherz – darauf besteht, dass sie bis heute „rational zu 100 Prozent recht“ gehabt habe, gibt sie zu, dass Stoibers Gespür für die Stimmungslage der Deutschen richtiger war: „Du, Merkel, bist Physikerin!“ hat er sie beschworen, „aber du musst das politisch sehen!“ Trotzdem hat er nachgegeben und Horst Seehofer in die zeitweise Verbannung geschickt: „Die Einheit der Union war ein Wert an sich für mich.“

Das ist sie immer noch. „Ich bin ein leidenschaftlicher Bayer, aber mein Vaterland war immer Deutschland“, sagt Stoiber gleich mehrfach. Wobei, selbst über diese Perspektive ist er hinausgewachsen. „Erstaunliche europäische Liebe“ attestiert Merkel dem Mann, der zu seinen politischen Glanzzeiten die Verkörperung der Euroskepsis war. Doch seit er als Antikorruptionsbeauftragter der EU ehrenamtlich in Brüssel arbeitet – „im Belemont“, sagt Stoiber dazu, denn so heißt das EU-Kommissionsgebäude – seit also nicht mehr bayerische Staatskanzlisten ihn umgeben, hat der bald 71-Jährige eine radikale Wende vollzogen.

Ihm sei erst dort klar geworden, erzählt Stoiber, wie dünn der Firnis über der Geschichte in den Nachbarstaaten immer noch sei, wie präsent die Konflikte und Schrecken des vorigen Jahrhunderts – und wie wichtig, dieses vereinte Europa in der Krise nicht aufs Spiel zu setzen. „Wer das leichtfertig in Kauf nimmt, der führt die Politik von Adenauer, de Gasperi und Schuman in die Insolvenz – und das darf nicht sein“, beschwört Stoiber. Auch beim Euro müsse jedem klar sein: „Es gibt keinen Reset-Knopf.“ Wem die Mahnung gilt – kein Wort fällt über seine Nachfolger. Merkel lächelt nur fein. „Ich habe dem nichts hinzuzufügen.“

Stoiber lächelt entspannt zurück. Er wirkt überhaupt zufrieden. Er darf ja auch rastlos bleiben. „Adenauer hat sich nach dem Mittagessen hingelegt und zwei Stunden geschlafen“, sagt er. Nichts für ihn: Um sechs Uhr aufstehen und dann los, vom europäisch-russischen Rohstoffrat bis zum Aufsichtsrat von Bayern München. „Ich bin rund um die Uhr ausgelastet!“Stoiber strahlt. Jetzt ist es an Merkel, verständnisvoll zu lächeln. Sie ist ja auch rundum ausgelastet. Gleich kommt zum Beispiel Helmut Kohl.

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