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Gruppenbild mit Kanzlerin: Angela Merkel posiert mit Schülern im Bundeskanzleramt.

© AFP

Ortstermin mit Angela Merkel: DDR-Geschichtsstunde mit Kanzlerin

"Man musste da irgendwie durch", sagt Angela Merkel über die DDR. Die Bundeskanzlerin gibt 150 Schülerin Einblicke in ihre Kinder und Jugendzeit. Ein Ortstermin.

Von Antje Sirleschtov

Als die Kanzlerin den Raum betritt, ist es zunächst mucksmäuschenstill, dann fangen alle an zu klatschen. 150 Schüler aus ganz Deutschland sind ins Kanzleramt gekommen, um mit Angela Merkel über die DDR zu sprechen, und allein der Ort der Diskussion, der „Internationale Konferenzsaal“, beeindruckt die 15- bis 18-Jährigen sichtlich. Normalerweise tagen hier wichtige Delegationen aus aller Welt, sagt die Regierungschefin, die dann aber gleich ganz lebensnah beginnt mit dem, was sie eine „kleine Geschichtsstunde“ nennt: Sie erzählt, wie sie die DDR erlebt hat.

Wie die Pfarrerstochter Angela Merkel in Templin aufgewachsen ist, dass sie in der Jugendorganisation FDJ war, als Studentin bei Tanzveranstaltungen als „Bardame“ gearbeitet hat und der DDR-Liebesfilm von der „Legende von Paul und Paula“ ihr Lieblingsfilm ist, all das weiß man eigentlich schon von ihr. Merkel hat in der Vergangenheit immer mal wieder ein Stück preisgegeben von ihrem Leben in der DDR und die meisten der Schüler, die an diesem Dienstag um sie herumsitzen, haben sich mit dem Leben in der DDR seit Monaten beschäftigt.

Angela Merkel hatte eine "gute Kindheit"

Wie sich das aber angefühlt hat, dieses alltägliche Leben des jungen Mädchens namens Angela Kasner in der Diktatur, das Geheimnis lüftet die Kanzlerin jetzt zum ersten Mal – ein wenig zumindest. Eine „gute Kindheit“, sagt Merkel, habe sie gehabt. Ihre Familie, ihre Freunde, auch die Wiesen und Seen in ihrer Heimat meint sie damit. Oft waren die Cousinen aus dem Westen in den Ferien zu Gast und wenn die Mädchen dann ihr Leben verglichen, „dann kam ich gar nicht so schlecht weg“. Gleichzeitig jedoch „musste man immer auf der Hut sein“.

Merkel hat kleine Repressionen schon als Kind erfahren. Sie durfte die Jeans nicht in der Schule anziehen, die ihre Verwandten aus Hamburg, aus dem Westen, ihr geschickt hatten. Sie musste aufpassen, nicht dabei erwischt zu werden, wie sie über das im Westfernsehen Gesehene in der Schule berichtete. Und kurz vor dem Abitur, als Merkel mit zwei Mitschülern ihre Klasse dazu angestiftet hat, ein politisch nicht ganz opportunes Kulturprogramm in der Schule aufzuführen, da wurde sogar „richtiger Psychodruck“ ausgeübt: Befragung von der Staatssicherheit, Rüge beim Fahnenappell vor der ganzen Schule.

Angela Merkel hat sich in der DDR durchgewurschelt, wie so viele

Angela Merkel hat sich durchgewurschtelt durch die DDR, wie so viele, die in ihr gelebt haben. „Man musste da irgendwie durch“, erinnert sie sich. Zumal wenn man Pfarrerstochter war und damit schon allein unter politischem Generalverdacht. Mit acht Jahren entschied sie sich aus eigenen Stücken, in die staatliche Pionierorganisation einzutreten, wollte an den gesellschaftlichen Veranstaltungen teilnehmen, nicht ständig ausgegrenzt werden. Später studierte sie Physik, weil sie sich davon versprach, dass in einem naturwissenschaftlichen Fach die sozialistische Politik keine ganz so große Rolle spielt wie etwa in Psychologie. "Ich vermute, dass ich in der Bundesrepublik nicht Physik studiert hätte", sagt sie, "vielleicht wäre ich Lehrerin geworden." In der DDR aber bestand Merkel alle Prüfungen in den Fächern „Marxismus/Leninismus“. Und immer, sagt sie heute, habe sie sorgsam unterschieden, wann sie wo und in welchem Kreis mit ihren wahren Ansichten offen umgehen konnte oder sie lieber verschwieg. „Wer jeden Tag schon am Morgen sagt, was er denkt“, lautete ihre Lebensdevise, „der kommt nicht weiter.“

Als die Schüler an diesem Dienstag das Kanzleramt verlassen, werden sie gefragt, was sie aus Merkels Geschichten gelernt haben. „Tja, was eigentlich?“, fragt ein Mädchen. Vielleicht so viel: „Es geht uns heute ganz schön gut hier.“

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