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Roettgen

© dpa

Ortstermin: Norbert Röttgen: Der Weltpolitiker

Dagmar Dehmer beobachtet Umweltminister Norbert Röttgen bei der Entwicklung seiner Energiepolitik.

Am Wochenende hat Norbert Röttgen (CDU) seinen Parteifreunden und der FDP erklärt, was in Sachen Atomlaufzeiten im Koalitionsvertrag steht. Am Donnerstagabend lieferte der Bundesumweltminister bei einer Rede im Audimax der Humboldt-Universität die weltpolitische Begründung für seine energiepolitischen Thesen nach. Unter der Überschrift „Was ist Fortschritt heute?“ deklinierte Röttgen durch, was es heißt, „die unentrinnbare Verantwortung zu haben, Entscheidungen mit irreversiblen Konsequenzen für die Zukunft zu treffen“.

Röttgen sagte, „ein auf Ressourcenverbrauch basierter Fortschritt beraubt sich seiner Grundlagen“. Gelinge es nicht, das Wirtschaftswachstum vom Energie- und Ressourcenverbrauch zu entkoppeln, stelle sich das Wirtschaftswachstum selbst in Frage. Es gelte die „Gegenwartsbezogenheit unseres Handelns zu überwinden“. Fortschritt heute sei „Zukunftsverantwortung“, sagte Röttgen. Allerdings glaubt er nicht, dass sich der Ressourcenverbrauch „durch Verzicht“ senken lasse. Das gehe nur mit neuen Technologien. „Es wird keine Akzeptanz für Verzichtspolitik geben“. Die Zivilisation werde „nie zurückgedreht“. Es bleibe nur höhere Effizienz bei der Nutzung von Energie und Ressourcen sowie „eine grundlegende Modernisierung der Volkswirtschaft“, die er zudem als Chance auf ein nachhaltiges Wachstum sieht.

Von diesem Fundament aus entwickelte Röttgen seine (Umwelt-)Politik. Für seine Festlegung auf das Ziel, die Stromversorgung in Deutschland bis 2050 vollständig durch erneuerbare Energien zu decken, bekam er Szenenapplaus. Aus dem weltweit akzeptierten Ziel, die globale Erwärmung nicht über zwei Grad im Vergleich zum vorindustriellen Niveau steigen zu lassen, ergebe sich zwingend, dass die Industrieländer ihre Kohlendioxid-Emissionen bis 2050 um 80 bis 95 Prozent reduzieren. Das sei nur möglich, wenn die Energieversorgung komplett CO2-frei werde. Derzeit ist die Welt auf dem Weg zu einer globalen Erwärmung von vier bis sechs Grad. Dann sei „Leben auf der Erde, wie wir es kennen, nicht mehr möglich“, stellte Röttgen fest. Diese Politik sei „ohne Alternative“. Die Umstellung der Energieversorgung biete aber auch eine „nachhaltige und konkrete Wachstumsstrategie“. Röttgen benannte auch die dafür notwendigen Bedingungen: eine effizientere Nutzung der Energie und damit einen geringeren Energieverbrauch, den Ausbau der Stromnetze und den Umbau der bisher zentralen Versorgungsstrukturen zur dezentralen Stromerzeugung. Er wies auf den „Systemkonflikt“ zwischen der Grundlast – Strom, der ständig in gleicher Menge in Atom- oder Braunkohlekraftwerken produziert wird – und den Anforderungen der erneuerbaren Energien hin. Röttgen will zunächst die Kernenergie und dann die Kohlekraft ersetzen. Auf ein Moratorium für den Neubau von Kohlekraftwerken wollte er sich auf Nachfrage aus dem Publikum aber nicht einlassen.

Röttgen war noch etwas anderes wichtig: die geopolitische Lage, in der die USA nicht mehr „in allen Fragen führen können“ und Schwellenländer wie China es „noch nicht können“. Aus Röttgens Sicht ist „Europa die Handlungsform des Nationalstaats“. Europa dürfe sich nicht nur aus der Vergangenheit sondern müsse sich „perspektivisch legitimieren“. Um in der Klimadebatte wieder Bedeutung zu gewinnen müsse Europa vom „Mitzieher“ zum „Antreiber“ werden. Die Wiederholung der Vorschläge, die schon in Kopenhagen keinen Erfolg hatten, werde nicht reichen.

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