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Ortstermin: Ruck 2.0

Albert Funk hört Wolfgang Clement und Friedrich Merz zu, die Deutschland mit einem Buch erneuern wollen.

Sie sind eine große Koalition im Kleinen. Immer noch knorrig-zerknittert der eine, immer noch jungmännisch-dynamisch der andere. Wolfgang Clement und Friedrich Merz haben sich zusammengetan, um ein Buch zu schreiben, eine Ruck-Rede auf 200 Seiten, Reformrhetorik von vorne bis hinten. Reformen bei den Parteien, am Föderalismus, im Sozialstaat. Rundumerneuerung eben. Es verkauft sich ganz gut anscheinend, bei Amazon stand es am Dienstag auf Platz 93 der Verkaufsrangliste, und sogar auf Platz eins in der Rubrik „Deutsche Politik“. Menschen, die dieses Buch gekauft haben, lesen auch Hans-Olaf Henkel, Meinhard Miegel und Helmut Schmidt. Etwa in der Mitte des sachliterarischen Dreiecks von Empörung, Ernüchterung und Erbauung haben Clement und Merz (und Ko-Autorin Ursula Weidenfeld) ihr Werk angesiedelt. Der Titel erinnert ziemlich stark an die legendären „Zeit“-Leitartikel von Theo Sommer: „Was jetzt zu tun ist“. Kurt Biedenkopf, fällt einem da ein, hätte als Mitautor auch ganz gut gepasst, aber dann hätten vielleicht die 200 Seiten nicht gereicht.

Wie auch immer: Am Dienstagnachmittag sitzen der Ex-Sozial- und der Noch-Christdemokrat gut gelaunt im Kulturkaufhaus in der Friedrichstraße und freuen sich am Blitzlicht der Fotografen. Der aktuelle „Spiegel“ hat den beiden streitbaren und durchaus wortmächtigen Ex-Größen der deutschen Politik ein dreiseitiges Interview spendiert. Viel Ehr’ für zwei Ehemalige. Die sich, das zeigt der Auftritt in Dussmanns Buchtempel, so ehemalig gar nicht fühlen.

Vor allem Friedrich Merz, der 54-Jährige. Er glaubt fest daran, dass eine Mehrheit in der Bevölkerung für eine durchgreifende Reformpolitik zu gewinnen ist, wenn man ihr diese nur ordentlich erklärt. Was das Ziel des Buches sei. Es entspringt offenbar auch der Einsicht in eigene Fehler. Zum Beispiel dem, nach dem Leipziger CDU-Parteitag von 2003 (der mit den ambitionierten Reformzielen) aufgehört zu haben, für den Umbau der Krankenversicherung offensiv zu werben. Und damit der SPD mit ihrer Bürgerversicherung das Feld überlassen zu haben. Beim Ex-Landespolitiker Clement ist es die Einsicht, die Landespolitik habe die Bildungspolitik schleifen lassen, weshalb Deutschland heute nicht mehr unter den zehn Top-Bildungsnationen sei (was, streng genommen, nicht für ganz Deutschland gilt, ganz sicher aber für Clements früheren Wirkungsbereich namens NRW).

Eine Stunde lang sind sich Merz und Clement einig. Vor allem singen sie im Duett den neuesten politischen Schlager: Mehr Führung muss sein. Die Griechenlandkrise ist ihnen das schlagende Beispiel. Wobei sie meinen, und darin sind sie auch mit den meisten aktuell Führenden einig, dass es zur raschen und kräftigen Hilfe für Griechenland keine Alternative gebe. Aber besser wäre es nach Ansicht von Merz und Clement gewesen, man hätte die Hellenen erst gar nicht ins Euroland hineingelassen.

Für eine große Koalition der Vernunft wollen der Ex-Wirtschaftsminister und der Ex-Fraktionschef stehen. Und wie steht’s mit einer neuen Partei? Clement träumt ja schon seit längerem von einer sozialliberalen Kraft in der Mitte. Vielleicht der Grund, weshalb er noch nicht weiß, was er am 9. Mai bei der NRW- Landtagswahl ankreuzen wird. Merz weiß es schon: „Ich empfehle, die CDU zu wählen.“ Darauf Clement: „Das ist tapfer.“ Darauf Merz: „Da haben Sie recht.“

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