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ORTSTERMIN: Verfolgt, verfolgter, am verfolgtesten

Auf der Tribüne des Bundestags haben der Bischof der Chaldäisch-Katholischen Kirche in Bagdad, Shlemon Warduni, und sein türkischer Kollege Francois Yacan geduldig zugehört, wie alle Fraktionen des Deutschen Bundestags den Christen im Irak ihre Solidarität ausgesprochen haben. Doch viel weiter ging die Einigkeit am Freitag vor Weihnachten dann doch nicht.

Auf der Tribüne des Bundestags haben der Bischof der Chaldäisch-Katholischen Kirche in Bagdad, Shlemon Warduni, und sein türkischer Kollege Francois Yacan geduldig zugehört, wie alle Fraktionen des Deutschen Bundestags den Christen im Irak ihre Solidarität ausgesprochen haben. Doch viel weiter ging die Einigkeit am Freitag vor Weihnachten dann doch nicht. Die Koalitionsfraktionen hatten einen Antrag zur Religions- und Glaubensfreiheit vorgelegt, der vor allem die Verfolgung von Christen in insbesondere islamischen und kommunistischen Ländern anprangert. Dem stellte die SPD einen Antrag entgegen, der eine stärkere Auseinandersetzung mit der Religionsfreiheit auch in Deutschland zum Inhalt hatte.

Unions-Fraktionschef Volker Kauder (CDU) forderte verstärkte Entwicklungshilfe für die bedrängten Christen im Irak. Alle Redner der Regierungsfraktionen betonten, die Christen seien die am meisten verfolgte Religionsgruppe der Welt. Wie sie zu diesem Befund gekommen sind, ist ihrem Antrag allerdings nicht zu entnehmen. Und weder Kauder noch seine Fraktionskollegin Erika Steinbach oder der CSU-Redner Johannes Singhammer gaben einen Hinweis, woher sie das wissen. Vermutlich beziehen sie sich auf die Christen-Hilfsorganisation „Open Doors“, die seit 1993 jährlich einen Weltverfolgungsindex vorlegt, der allerdings lediglich die Christenverfolgung weltweit misst, nicht jedoch Repressionen gegen andere Religionsgemeinschaften.

Genau diese Einseitigkeit kritisierte Volker Beck von den Grünen. Doch trotz dieses Mangels wollten die Grünen dem Koalitionsantrag zustimmen, „weil er viel Richtiges enthält“, wenn auch nur „die halbe Wahrheit“. Die Linke konzentrierte sich in ihren Redebeiträgen vor allem auf die Islamophobie in Deutschland und der Schweiz, während Angelika Graf (SPD) vor einem inflationären Gebrauch des Wortes Verfolgung warnte. Bei der Reise des Menschenrechtsausschusses nach Ägypten hätten die koptischen Gesprächspartner von Diskriminierung berichtet, aber nicht von systematischer Verfolgung. Erika Steinbach sah darin ein „Kleinreden“ christlicher Leiden.

Unausgesprochen ging es im Bundestag weniger um Religionsfreiheit als um die Integrationsdebatte, wie der Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses, Tom Koenigs (Grüne), feststellte. Und zumindest in seinem Onlinetagebuch gab Volker Kauder ihm auch recht. Dort heißt es: „Ich finde es gut, dass in unserem Land Moscheen gebaut werden, aber dann erwarte ich, dass die Türkei auch zulässt, dass Kirchen gebaut werden dürfen.“ Auch Johannes Singhammer nutzte im Bundestag einen Großteil seiner Rede, um mit der Türkei abzurechnen.

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