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ORTSTERMIN: Willy Brandts Enkel

100 Jahre wäre Willy Brandt am Mittwoch geworden, und natürlich lässt es sich seine SPD nicht nehmen, ihm zu Ehren einen Abend in der nach ihm benannten Parteizentrale zu veranstalten. Festlich soll es dabei zugehen, schließlich ist 100 ja eine sehr runde Zahl.

Von Antje Sirleschtov

100 Jahre wäre Willy Brandt am Mittwoch geworden, und natürlich lässt es sich seine SPD nicht nehmen, ihm zu Ehren einen Abend in der nach ihm benannten Parteizentrale zu veranstalten. Festlich soll es dabei zugehen, schließlich ist 100 ja eine sehr runde Zahl. Junge Musiker sind also versammelt. In Anzügen und hochgeschlossenen Kleidchen sitzen sie hinter dem überlebensgroßen Standbild von Willy Brandt, halten ihre Instrumente und warten auf ihren Einsatz. Lange warten sie, denn erst einmal gibt es Reden und Erinnerungen und Filme und wieder Reden. Es ist zu dem Festakt ja auch gekommen, was Rang und Namen hat in der SPD: Franz Müntefering, Egon Bahr, Hans-Jochen Vogel. Helmut Schmidt nicht, obwohl auch er ein betagter und gefeierter Sozialdemokrat ist und wie so viele Brandt noch erlebt hat. Aber Schmidt und Brandt, das ist eine andere Geschichte, und so nahmen es die Gäste verständnisvoll hin, dass Schmidt wohl angesichts des bald anstehenden eigenen 95. Geburtstages nicht die Strapazen einer Reise nach Berlin antreten wollte – um dann anderen zuhören zu müssen, was sie über ihre Begegnungen mit Brandt zu berichten haben. Und rauchen ist auch verboten in der SPD-Zentrale.

Ganz schön klein komme er sich vor, sagt Sigmar Gabriel und blickt an der dunklen Statue des Geehrten hoch. So ein direkter Vergleich zeige einem seine eigenen Grenzen auf, fügt er hinzu. Ganz schön bescheiden für einen, der gerade zum ersten Mal in der deutschen Geschichte eine ganze Partei über einen Koalitionsvertrag hat abstimmen lassen und damit wohl wie kein anderer Sozialdemokrat den berühmten Brandt-Satz „Mehr Demokratie wagen“ mit Leben erfüllt hat. Aber Gabriel muss das nur am Rand noch mal erwähnen. Von Wolfgang Thierse bis hin zu Hans-Jochen Vogel taten es schon andere vor ihm. Man sieht: Die Sozialdemokraten sind mächtig stolz auf sich an diesem Abend. Nicht nur wegen Willy und der Demokratie. Auch, weil sie nun regieren. Das halbe frisch vereidigte Kabinett ist gekommen, und es wird viel geherzt und gratuliert und gewünscht und geküsst an diesem Abend. Vor allem Manuela Schwesig, die neue Familien- und Frauenministerin aus Mecklenburg-Vorpommern, wird von erfahreneren Genossinnen immer wieder innig umarmt und mit guten Wünschen für ihr Amt versehen.

Auch Gabriel sieht als frisch vereidigter Vizekanzler stolz aus, als er über Brandt spricht. Und er nutzt die Gunst der fröhlichen Stunde und zieht auch gleich ein paar ganz eigene Lehren aus dem Leben und Schaffen des großen Amtsvorgängers. Zum Beispiel die des heimlichen Liberalismus von Brandt. Der nämlich, sagt Gabriel, sei ein Mann gewesen, der für die „Freiheit zu einem selbstbestimmten Leben“ eines jeden Menschen gekämpft habe, was etwas anderes sei als das Zugestehen von sozialen Wohltaten, nämlich eine sehr urliberale Haltung. Und was lernt der Brandt-Enkel Gabriel daraus? „Wir sollten den Liberalismus nicht links liegen lassen, nur weil die FDP ihn nicht verstanden hat.“ Einige Festgäste haben vor allem den Witz mit der FDP gehört und laut gelacht. Manche haben Gabriels Wort an diesem Abend als Signal an die eigene Partei verstanden – und dann etwas weniger laut gelacht.

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