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Ost-afghanischer Gouverneur: „Das braucht alles seine Zeit“

Herr Azizi, Sie sind seit März des Jahres Gouverneur der Provinz Laghman – wie gefährlich ist Ihr Job?Die Provinz ist eine der friedlichsten.

Herr Azizi, Sie sind seit März des Jahres Gouverneur der Provinz Laghman – wie gefährlich ist Ihr Job?

Die Provinz ist eine der friedlichsten. Wie überhaupt die Sicherheitslage und die Entwicklung insgesamt in Afghanistan sehr viel besser ist, als man im Westen glaubt.

Tatsächlich?
Die Herausforderung besteht vielmehr darin, dass hier vor neun Jahren noch nichts war: keine Infrastruktur, keine Mädchenschulen, kaum Straßen. Wir sind bei null gestartet – und haben schon sehr viel anschieben können.

Zum Beispiel?
Es ist uns gelungen, die Eigenverantwortung der Bevölkerung zu steigern und die Taliban zurückzudrängen, indem wir die Dorfbewohner zu Partnern gemacht haben. Wir haben die Dorfältesten gefragt, woran es fehlt, und ihnen Hilfe zugesagt – unter der Bedingung, dass sie sich engagieren. Wir haben gesagt, macht mit, baut Brücken statt zu kämpfen, dann gibt es Geld und Hilfe.

Wurde das angenommen?
In meiner Provinz zum Beispiel gibt es heute 300 Schulen, für Mädchen und Jungen, und die sind sicher, nicht, weil Polizisten mit Gewehren sie schützen würden, sondern weil die Menschen das selbst übernehmen. Sie bilden lokale Milizen, um ihre Dörfer und Projekte zu verteidigen.

Wie gehen Sie in Ihrer Provinz gegen Korruption und Drogen vor?
Wir bekämpfen sie. Die Korruption durch Ausbildungsprogramme. Die erlauben den Menschen, ihr Geld mit Arbeit zu verdienen. Und die Drogen mit alternativen Anbauprodukten wie Reis und Getreide. Beim Thema Drogen allerdings muss ich zurückfragen: In Afghanistan wird der Mohn angebaut – aber wer handelt mit Drogen, wer konsumiert sie, treibt die Preise in die Höhe und macht den Mohnanbau so lukrativ? Die Abnehmer in Europa und den USA.

Macht der Einsatz der internationalen Gemeinschaft die Dinge besser oder schlimmer?
Besser. Sehr viel besser. Aber ich erlebe dieser Tage, wie unterschiedlich die Erwartungen sind. Sie wünschen sich eine Schweiz am Hindukusch. Wir aber haben 30 Jahre Krieg hinter uns und die Taliban haben alles zerstört, die wirtschaftlichen, die sozialen, die Stammesstrukturen. Wir lebten in einer anderen Welt, die Ihnen mittelalterlich vorkommt. Eine Welt, in der Frauen gefoltert und Schulmädchen mit Säure attackiert wurden. Das bedeutet zum Beispiel, dass wir 30 Jahre kein Bildungssystem hatten. Wo also sollen die Lehrer herkommen? Der Grundstein ist gelegt: Wir haben jetzt eine Verfassung, politische Institutionen und Ausbildungsmöglichkeiten werden geschaffen. Aber das braucht alles seine Zeit, und die internationale Gemeinschaft wird langsam ungeduldig.

Auf dem Nato-Gipfel in Lissabon wird es nicht zuletzt um den Beginn des Abzugs der internationalen Truppen gehen ...
Aus meiner Sicht ist jetzt nicht die Zeit, um über einen Abzug zu sprechen. In Ihrem eigenen Interesse. Sie verteidigen doch Ihre eigene Sicherheit hier: Es ist besser, in Kandahar zu kämpfen als in Berlin. „Abzug“ ist kein gutes Wort – „Übergang“ wäre besser. Übergang meint Abzug unter Bedingungen. Und zu den Bedingungen gehört, dass die Verfassung respektiert und Menschenrechte geachtet werden.

Das Gespräch führten U. Scheffer und M. Schmidt.

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