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© dpa

Ostdeutsche: Durch DDR-Erfahrung pragmatisch und krisenfest?

Krisenfest und pragmatisch soll der Ostdeutsche 20 Jahre nach dem Fall der Mauer laut einer neuen Studie sein. Was ist noch bei der Untersuchung über den Ostdeutschen ans Licht gekommen?

Von Matthias Schlegel

Einst skandierten sie: „Wir sind das Volk“. Jagten mit neu gewonnenem Selbstbewusstsein die Partei- und Regierungschefs weg. Dann entsorgten die Ostdeutschen mit dem gerade mal um drei Buchstaben veränderten Motto „Wir sind ein Volk“ die DDR als Ganzes gleich mit. „Wir auch“, antworteten später trotzig ein paar Wessis, denen das revolutionäre Gehabe der Ossis gehörig auf den Docht ging.

Dass wir, seit 19 Jahren nun wieder staatlich vereinte Brüder und Schwestern, ganz unterschiedliche Gene in uns tragen, war uns recht bald klar geworden. Eine neue tiefenpsychologische Studie „Die Ostdeutschen 20 Jahre nach dem Mauerfall“ geht der einen Spezies auf den Grund – und räumt dabei mit den unfreundlichen Klischees auf und bestätigt die positiven Erfahrungen.

Zwar ist das Kölner Institut Rheingold als sowohl tiefenpsychologisch erfahrene wie tief im Westen verankerte Institution unverdächtig, die Ostdeutschen glorifizieren zu wollen. Das würde man eher dem Auftraggeber der Studie, der zwischen Rügen und Thüringer Wald inzwischen ebenfalls zur Institution gewordenen Zeitschrift „Super Illu“, unterstellen wollen. Doch Chefredakteur Jochen Wolff beteuert, gerade wegen des gebotenen neutralen Ansatzes die Untersuchung einem West-Institut anvertraut zu haben, das unbelastet von Vorurteilen an die Aufgabe habe herangehen können.

80 Ostdeutsche, die den statistischen Querschnitt der Bevölkerung repräsentieren, wurden in jeweils zweistündigen Sitzungen von Psychologen befragt – zu Lebens- und Alltagsthemen, Heimat- und Wertvorstellungen, dem Ost-West-Verhältnis, ihrer Einstellung zu Können und Leistung, erläutert Rheingold-Geschäftsführer Stephan Grünewald. Herausgekommen ist kein Prozentual-Befindlichkeitsschema. Die Studie handle vielmehr „von Menschen, die sich trotz widrigster Umstände durch ihren Biss und ihre Unbeugsamkeit immer wieder aufgerappelt haben“. Denn sie hätten den Zusammenbruch eines ganzen Lebenssystems durchgestanden. Deshalb lautet für Grünewald das zentrale Ergebnis: „Vom Osten lernen heißt Krisen bestehen lernen.“ Also Überlebenskünstler statt Jammer-Ossi.

Fünf Übergangsphasen macht die Studie seit dem Fall der Mauer aus: Die Systemaufweichung mit dem Wunsch herauszukommen; den euphorischen Umbruch mit der Erfahrung des Überstülpens des Westens; den Zusammenbruch des Lebensalltags und die sich anschließende Polarisierung mit dem Rückzug in die Ostalgie als verzweifeltem Versuch der Selbstbehauptung (wobei nie das politische System, sondern nur der halbwegs funktionierende Alltagsbetrieb verklärt worden sei). Am vorläufigen Ende steht die gegenwärtige Erfahrung, dass sich kulturelle Eigenart und Identität des Ostens mehr und mehr auflösen und sozialer Druck, Neid, Konkurrenz und die Differenzierung der Gesellschaft in Gewinner und Verlierer, in Superstar-Träume und Hartz-IV-Realitäten im Osten heute genauso wirksam sind wie im Westen. Die Ostdeutschen seien aber noch immer „Wanderer zwischen den Welten“ – die alte Heimat habe sich aufgelöst, in der neuen seien sie zwar angekommen, fühlten sich aber nicht angenommen.

In der Auseinandersetzung mit dem Umbruch zeigten die Ostdeutschen einen „pragmatischen Realismus“. Nach vielen unerfüllten Versprechungen legten sie ein „konstruktives Misstrauen“ an den Tag. Sie zeichne eine „sachliche Anpackhaltung“ aus, die sich auf das Wesentliche beschränke. Statt dem West-Ideal Selbstverwirklichung stehe Sachdienlichkeit im Vordergrund – nach dem Motto: Was brauchen wir? Statt: Was will ich?

Das in der DDR als Folge des Mangels erworbene Improvisationstalent und das Prinzip der gegenseitigen Hilfe befähige sie zur Krisenbewältigung. Sie suchen Stabilität im elementaren Alltag, wobei die Familie wichtigster Bezugspunkt und Anker ist. Arbeit gilt als zentraler Wert, auch über die materielle Sicherheit hinaus. Der Wegfall des Arbeitsplatzes wird als Katastrophe erlebt. Wichtig ist den Ostdeutschen der geregelte, durchstrukturierte Tagesablauf. Mit Leidenschaft arbeitet er zu Hause, werkelt im Keller oder buddelt im Schrebergarten. Grünewald hat eine ausgeprägte Bodenständigkeit und Naturverbundenheit der Ostdeutschen festgestellt, die er als „Gegenentwurf zur gehetzten Glücksmaximierung im Westen“ beschreibt.

Die enorme „seelische Transferleistung“ des Ostens werde vom Westen nicht anerkannt, lautet ein zentrales Resümee der Studie. Und sie macht bei den Ostdeutschen eine „schwelende Wut“ über diese fehlende Anerkennung aus. Doch die Mehrheit der Ostler „meutert eher still“. Aus der Zeit des Versteckens der Wahrheit und des Versteckens von Kritik in Zwischentönen habe sich „die Kunst des Ironisierens“ erhalten – als „charmante Form des Widerstands und der Kritik“, wie Grünewald sagt. Auf den Tisch zu hauen, ist seine Sache nicht.

Zwar stellt die Studie eine „unbeugsame Erfahrungsüberlegenheit“ bei den Ostdeutschen fest. Doch weil der Ostler sich immer etwas kleiner macht als er ist, demonstriert er dies nicht offen. Und so zitiert der Kölner mit stoischem Langmut den überlegen-ironischen Ossi: „Der Fuchs ist schlau und stellt sich dumm. Beim Wessi ist es andersrum.“

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