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Pakistan: Die Flut-Dividende

Experten fordern mehr und bessere Unterstützung für Pakistan – der Ruf des Landes als Chaos-Staat sei unberechtigt.

Berlin - Es ist eine bezeichnende Begebenheit, die sich dieser Tage in Brüssel abspielt. Man kann sie ratlos nennen. Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy hat vor einigen Tagen eine zentrale Lenkung für die EU-Katastrophenhilfe vorgeschlagen und auch einen gemeinsamen Militäreinsatz angeregt – doch die Europäische Union findet keinen rechten Weg, um wirklich effektiv in Pakistan zu helfen. Zwar hat die EU-Kommissarin für Humanitäre Hilfe Kristalina Georgieva angekündigt, dass Brüssel sich verstärkt beim Aufbau von Frühwarnsystemen im Katastrophenschutz engagieren will. Doch wie eine echte Vernetzung der Katastrophenhilfe tatsächlich aussehen soll, darüber gebe es zwischen den 27 Mitgliedsstaaten lediglich „intensive Diskussionen“.

Dass das zu wenig ist – und dass auch die Hilfe jüngst auf 25 Millionen Euro aufgestockte deutsche Hilfe wohl nicht reicht – ruft mehr und mehr auch Pakistan-Kenner auf den Plan, die sich um die Stabilität der Region sorgen. „Der Westen muss begreifen, dass es im ureigensten Interesse seiner Sicherheit dient, zu helfen“, sagt etwa Christian Wagner, Pakistan-Experte bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Wagner spricht von einer „Flut-Dividende“, von denen beide Seiten langfristig profitieren könnten: Pakistan, weil es in seiner jetzigen Lage alle moralischen Argumente auf seiner Seite hat, um etwa bei der Europäischen Union Einfuhrhindernisse für seine florierende Textilindustrie durchzusetzen. Und Europa, weil es den Wettlauf um Hilfe gegen die zahlreichen islamistischen Wohlfahrtsorganisationen durchaus gewinnen kann – mit wichtigen Folgen für den Konflikt in Afghanistan.

Denn zum einen seien die vor Ort agierenden Islam-Helfer zerstritten; nur die wenigsten seien offen mit den Taliban oder der Terrorgruppe Lashkar-e-Taiba verbandelt. Zum anderen hätten auch die Erfahrungen nach dem Erdbeben in der Kaschmir-Region 2005 gezeigt, dass sich nachhaltige Hilfe westlicher Organisationen auszahlen kann. Dort sei, anders als oft kolportiert, die islamistische Gewalt nicht angestiegen. Gerade im unruhigen Norden des Landes, der als Rekrutierungs- und Rückzugsgebiet der Taliban in Afghanistan liegt, ein ermutigender Befund.

„Pakistan hat in Deutschland den Ruf eines islamistischen Chaos-Staates“, sagt Wagner. „Zu Unrecht“. International trete das Land anders als nahezu alle anderen Staaten der islamischen Welt moderat auf – zudem verfüge es über demokratische Institutionen und Pressefreiheit.

Das Deutsche Rote Kreuz verweist zudem darauf, dass die Strukturen pakistanischer Hilfsorganisationen vor Ort trotz der Katastrophe funktionierten. Dabei spielten konfessionelle Unterschiede keine Rolle. „Wir arbeiten mit dem roten Halbmond zusammen, das Kreuz als Symbol spielt da keine Rolle“, sagt eine Sprecherin. Ähnliche Erfahrungen machen auch die kirchlichen Organisationen, die mit lokalen Partnern zusammenarbeiten.

SWP-Experte Wagner verweist auf einen weiteren Aspekt, der für die Sicherheit in der Region von entscheidender Bedeutung sein kann: Auf die fortgesetzten Hilfsangebote Indiens. „In Pakistan wird das genau registriert“, sagt Wagner. Eine Entspannung im Dauerstreit der Nachbarländer und Atommächte im Gefolge der Katastrophe – das wäre eine zusätzliche „Flut-Dividende“.

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