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Pakistanische Schulmädchen beten für die Opfer.

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Update

Taliban in Pakistan: Bilanz des Schulmassakers: Mehr als 100 tote Kinder

Pakistan im Schock: Taliban töten bei einem Massaker an einer Schule mehr als 130 Menschen, darunter über 100 Kinder. Erst nach stundenlangen Gefechten erklärte die Polizei die Geiselnahme am Abend für beendet.

Es sind Szenen des Horrors, die sich an diesem grauen Dezembertag in der Stadt Peschawar im Nordwesten Pakistans abspielen: Immer wieder sind aus der Schule Schreie, Schüsse und Explosionen zu hören. Vor den Absperrungen rufen Eltern verzweifelt nach ihren Kindern. Überall in den Korridoren seien blutende Kinder gewesen, erzählen überlebende Schüler. Die Attentäter seien von Klassenzimmer zu Klassenzimmer gegangen und hätten wahllos auf sie gefeuert.

Bei einem Überfall auf eine vom Militär betriebene Schule in Peschawar haben die Taliban am Dienstag ein unfassbares Massaker angerichtet. In einem regelrechten Blutrausch töteten die Attentäter mindestens 132 Menschen, bis auf wenige Lehrer und Soldaten waren offenbar fast alle Schüler. Mehr als 250 weitere wurden verletzt, wie die Regierung der Provinz Khyber-Pakhtunkhwa mitteilte. Es wurde befürchtet, dass die Opferzahl weiter steigt. Mehrere Dutzend Kinder erlitten Schussverletzungen, ihr Gesundheitszustand war kritisch.

Regierungschef Nawaz Scharif sprach von einer "nationalen Krise und Tragödie". Die pakistanische Kinderrechtsaktivistin und Friedensnobelpreisträgerin Malala Yousafzai verurteilte das Massaker als "grauenhaft und feige".

Soldaten bringen Kinder und Lehrer in Sicherheit.
Soldaten bringen Kinder und Lehrer in Sicherheit.

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Der beispiellose Schreckenstat schockte nicht nur Pakistan, sondern die Welt. Es war nicht nur der blutigste Anschlag seit Jahren, sondern auch der feigste: Erstmals waren die Opfer fast durchweg Schüler. Selbst im Gewalt gewohnten Pakistan hat der Terror damit eine neue Dimension des Grauens erreicht. Die Taliban vermieden es bisher, es in diesem Ausmaß gezielt auf Kinder abzusehen.

US-Präsident Barack Obama verurteilte den Angriff mit scharfen Worten. "Indem sie bei dieser abscheulichen Attacke Schüler und Lehrer zur Zielscheibe gemacht haben, haben die Terroristen erneut gezeigt, wie verdorben sie sind", erklärte Obama am Dienstag in Washington. Der Präsident bekräftigte die Unterstützung der USA für die pakistanische Regierung im Kampf gegen den Terrorismus.

Die sechs Selbstmordattentäter sollen gegen elf Uhr, gekleidet in Uniformen, von einem benachbarten Friedhof auf das Schulgelände gelangt sein. Im Gebäude hielten sich zu diesem Zeitpunkt mehr als 500 Kinder und Lehrer auf. Die Täter seien von Klassenzimmer zu Klassenzimmer gegangen und hätten wahllos das Feuer auf die Schüler eröffnet, hieß es.

"Sie wollten so viele Menschen töten wie möglich"

"Die Terroristen wollten so viele Menschen töten wie möglich. Und sie schienen nicht interessiert, Geiseln zu nehmen", sagte Mushtaq Ghani, Informationsminister der Provinz Khyber Pakhtunkhwa. Überlebende Schüler berichteten von regelrechten Jagdszenen: "Wir rannten in unser Klassenzimmer, um uns zu retten. Doch die Militanten verfolgten uns und begannen zu schießen", erzählt der Schüler Aamir Ali. Binnen Sekunden verlor er zehn seiner Klassenkameraden im Kugelhagel.

"Ich sah, wie Kinder zu Boden stürzten, weinten und schrien", berichtete auch der Schüler Abdullah Jamal, der selbst eine Schusswunde im Bein erlitt, Reportern. "Alle hatten Schusswunden. Alle Kinder haben geblutet." Und Ahsan Mukhtar erzählt: "Als die Schießerei begann, sagten unsere Lehrer, wir sollen uns flach auf den Boden legen und still sein. Wir blieben für eine Stunde am Boden."

The "Army Public School", eine vom Militär unterhaltene Schule, liegt nahe eines Wohnviertels von Armeefamilien. Viele Schüler sind Kinder von Militäroffizieren. Binnen einer halben Stunde hatten hunderte Polizei- und Armeekräfte die Schule umstellt. Hubschrauber kreisten über dem Gebäude. Die Soldaten rückten von Raum zu Raum vor, um die Schule zu sichern.

Immer wieder brachten Soldaten Kinder im Eiltempo in Sicherheit. Nach stundenlangen Gefechten erklärten die Sicherheitskräfte die blutige Geiselnahme am Abend für beendet, alle sechs Angreifer seien getötet worden. "Das Gebäude ist jetzt gesichert." Truppen durchsuchten die Schulgebäude nach Sprengsätzen.

Der pakistanische Taliban-Verband Tehreek-e-Taliban Pakistan (TTP) bekannte sich zu dem grauenhaften Überfall. Die Attentäter hätten den Befehl gehabt, die kleineren Kinder laufen zu lassen, aber die größeren zu töten, erklärte ein Taliban-Sprecher Medienberichten zufolge. Damit habe die TTP ihre eigenen Kinder, Frauen und Familien rächen wollen, die das Militär bei der Offensive gegen die Taliban in Nord-Wasiristan getötet habe. "Sie sollen unseren Schmerz spüren."

Fast im Minutentakt stiegen die Opferzahlen

Die pakistanische Armee hatte im Sommer mit Unterstützung der Luftwaffe eine Großoffensive gegen die Taliban und andere Extremisten im Nordwesten des Landes gestartet. Offiziellen Angaben zufolge wurden seitdem mehr als 1100 Rebellen und mehr als hundert Soldaten getötet. Zudem töten die US-Streitkräfte in der unzugänglichen Bergregion entlang der Grenze zu Afghanistan immer wieder mutmaßliche Extremisten mit Drohnen.

Fast im Minutentakt stiegen den Tag über die Opferzahlen. Sprachen Medien zunächst von 20 Toten, waren es bald mehr als 130, die allermeisten Kinder. Auch die Zahl der Verletzten stieg immer weiter an. Alle vier größeren Krankenhäuser in der Stadt wurden in Alarmzustand versetzt. Auch in anderen Hauptstädten wie Islamabad wurden die Sicherheitskräfte in Bereitschaft versetzt.

Regierungschef Scharif eilte ebenso wie Armeechef Raheel Scharif sofort nach Peschawar. "Wir werden unseren Kampf fortführen, den Terror auszumerzen", kündigte der Premier an. Ashan Iqbal, ein führender Politiker der Regierungspartei PML-N, rief alle Parteien auf, zusammenzustehen. "Wir sind im Kriegszustand, und wir können unsere Feinde nur geeint bekämpfen."

Scharif hatte bei seinem Amtsantritt ein Ende des Terrors und Friedensgespräche mit den Militanten zu seinen Zielen erklärt. Doch mit diesem Anschlag dürfte jede Unterstützung für Scharif, Gespräche mit den Militanten zu suchen, verschwunden sein. Stattdessen dürfte der Anschlag dem Militär neuen Rückhalt für einen harten Kurs gegen die Militanten geben. Wie immer in Pakistan lösten daher auch die möglichen Hintergründe für den Anschlag wilde Spekulationen aus.

Die südasiatische Atommacht wird die Geister, die sie rief, nicht mehr los. Einst hatte der Geheimdienst ISI die Taliban im Kampf gegen die Russen in Afghanistan aufgepäppelt. Inzwischen sind auch in Pakistan eigene Taliban-Gruppen erstarkt, die sich gegen ihre einstigen Ziehväter richten und aus Pakistan einen Scharia-Staat machen wollen. Die Spirale der Gewalt scheint nicht mehr zu enden.

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