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Palästina: Obama will Friedensverhandlungen statt Anerkennung

Die Debatte um Palästina in der UN-Vollversammlung hat begonnen. Kann der Konflikt noch gelöst werden?

Innerhalb von zwölf Monaten hat sich die Dynamik im Nahen Osten komplett gedreht. Als US-Präsident Barack Obama im September 2010 vor der UN-Vollversammlung sprach, hatte er Israelis und Palästinenser zu den ersten direkten Friedensgesprächen seit mehr als 20 Monaten gebracht. 2011 befürchten die Experten eine neue Phase der Gewalt. Die Revolutionen in mehreren arabischen Ländern haben zur Folge, dass die antiisraelischen Emotionen größeren Einfluss auf die Politik gewinnen.

Warum ist die Situation so angespannt?

Die vor einem Jahr wieder aufgenommenen Verhandlungen zwischen Israelis und Palästinensern führten rasch zu einer neuen Blockade – wofür sich die Konfliktparteien gegenseitig die Schuld zuweisen. Aus palästinensischer Sicht hatte Israels Premier Benjamin Netanjahu nur auf einen Anlass gewartet, um den befristeten Stopp des Siedlungsbaus zu beenden. Israel wirft umgekehrt den Palästinensern und deren Präsidenten Mahmud Abbas vor, dass sie die Bedingungen für die Verlängerung des Siedlungsstopps nicht erfüllt haben.

Auch in der US-Innenpolitik haben sich die Rahmenbedingungen verschoben. Obama hatte starken Druck auf Netanjahu ausgeübt, den Siedlungsbau zu stoppen und anzuerkennen, dass die Linien von 1967 Ausgangspunkt der künftigen Grenzziehung zwischen Israel und dem Palästinenserstaat sind und nur durch einvernehmlichen Gebietstausch verändert werden können. Netanjahu entzog sich dem Druck, indem er Unterstützung bei der US-Opposition, den Republikanern, suchte. Sie stehen ihm gegen Obama bei. Seit der Wahl 2010 haben sie die Mehrheit im US-Abgeordnetenhaus und entscheiden, zum Beispiel, über die Finanzhilfen für Israel und für Palästina. Obamas potenzielle Gegenkandidaten für die Präsidentschaftswahl 2012 machen die unbedingte Solidarität mit Israel zu einem Wahlkampfthema.

Was will Obama erreichen?

Das wichtigste Ziel ist, die Zuspitzung des Konflikts um die staatliche Anerkennung Palästinas durch die UN zu vermeiden und eine neue Perspektive für die Wiederaufnahme der Friedensgespräche zu eröffnen. Nach Analyse amerikanischer Experten wollen auch die Palästinenser die Eskalation vermeiden. Alle Beteiligten wissen, dass der Friedensschluss und die Geburt eines souveränen Palästinenserstaats sich nicht per Abstimmung in den UN erreichen lassen, sondern nur durch einen Friedensvertrag zwischen Israelis und Palästinensern. Die Drohung, die Anerkennung in den UN zu suchen, ist keine praktische Alternative dazu, sondern war als Druckmittel gedacht, um Israel zurück an den Verhandlungstisch zu bringen. Inzwischen hat der Vorstoß aber Eigendynamik entwickelt. Palästinenserpräsident Abbas kann ihn nicht einfach ohne Gegenleistung zurückziehen. Obama und seine Außenministerin Hillary Clinton sondieren seit Tagen, wie ein Kompromiss aussehen könnte, der zu neuen Verhandlungen führt und so Abbas von der Ankündigung abbringt, am Freitag in den UN den Antrag auf staatliche Anerkennung zu stellen.

Was wären die Folgen eines Antrags

auf staatliche Anerkennung?

Über die staatliche Anerkennung entscheidet nicht die Vollversammlung, wo die Palästinenser auf eine mit ihnen sympathisierende Mehrheit zählen dürfen, sondern der Sicherheitsrat. Dort müssten neun der 15 Mitglieder mit Ja stimmen. Das ist nicht gesichert. Und selbst wenn diese Mehrheit zustande käme, würden die USA ihr Veto einlegen. Denn aus ihrer Sicht ist die staatliche Anerkennung durch Israel im Friedensvertrag ein entscheidendes Mittel um die Palästinenser zu den von ihnen erwarteten Zugeständnissen zu bringen. Andererseits wollen die USA es vermeiden, ihr Veto benutzen zu müssen, weil dies zu Spannungen mit arabischen Ländern führen würde. Eine solche Eskalation hätte mehrere gefährliche Folgen. Sie würde Massendemonstrationen im Nahen Osten gegen Israel und die USA auslösen, die wohl kaum friedlich bleiben. Die republikanische Kongressmehrheit würde die Finanzhilfen für Palästina, derzeit 900 Millionen Dollar pro Jahr, kürzen oder ganz streichen.

Auch seitens Israels ist mit drastischen Konsequenzen zu rechnen: Israels Finanzminister Yuval Steinitz droht, die von seinen Beamten eingezogenen, für die Palästinenserbehörden lebenswichtigen Steuern und Zölle in der Höhe von monatlich rund 100 Millionen Euro zurückzuhalten. Der ultranationalistische Außenminister Avigdor Lieberman dementierte zwar, dass er mit einer Regierungskrise gedroht habe für den unwahrscheinlichen Fall, dass Ministerpräsident Benjamin Netanjahu keine Strafaktionen gegen die Palästinenser anordne. Doch seine an die palästinensische Adresse gerichteten Drohungen – wie sie die Zeitung „Yedioth Ahronoth“ veröffentlichte – sind extrem: Annullierung der Osloer Verträge, auf denen die israelisch-palästinensischen Beziehungen und Verhandlungen ruhen; Annektierung von Siedlungsblöcken; Nicht-Überweisung der Steuer- und Zollgelder.

Was bot Obama in seiner Rede vor der

Vollversammlung an?

Der US-Präsident warb in seiner Rede vor der UN-Vollversammlung mit der Aussicht auf eine positive Dynamik. Wenn alle konstruktiv zusammen arbeiteten, ließen sich Konflikte befrieden. Auch beim jüngsten UN-Mitglied, dem Südsudan, hätten viele vor zwölf Monaten Blutvergießen befürchtet. Dieses sei ausgeblieben. Die arabischen Revolutionen interpretierte Obama als Zugewinn an Freiheit. Kooperation und Verhandlungen seien also auch der Weg für Palästina zur Eigenstaatlichkeit und zum Frieden. Einseitige Schritte wie der Antrag auf staatliche Anerkennung in den UN erschwerten es nur, dieses Ziel zu erreichen.

Was wird als Alternative geboten?

Eine mildere Alternative für die Palästinenser wäre der Antrag auf einen Beobachterstatus in der Vollversammlung, ähnlich wie ihn der Vatikan hat. Das wäre eine Aufwertung, die ihnen auch zahlreiche juristische Möglichkeiten eröffnet wie die Überprüfung potenzieller israelischer Menschenrechtsverletzungen bei der Besatzungspraxis durch die UN. Über diesen Antrag stimmt die Vollversammlung ab; dort sind die Aussichten auf ein positives Votum besser.

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