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Griechenlands Finanzminister Evangelos Venizelos (l.) und Ministerpräsident Giorgos Papandreou.

© dpa

Griechenland: Papandreou gewinnt Vertrauensabstimmung

Die griechischen Sozialisten stützen ihren Ministerpräsidenten Papandreou, aber: bis Ende Juni muss das umstrittene Sparpaket durchs Parlament. Die Demonstrationen blieben diesmal friedlich.

Mit den 155 Stimmen der sozialistischen Regierungsfraktion sprach das Parlament Papandreou in der Nacht zum Mittwoch das Vertrauen aus. Die Oppositionsparteien stimmten mit Nein.

Premier Papandreou appellierte wenige Minuten vor der Abstimmung noch einmal an die anderen Parteien, angesichts der Herausforderungen zu einer gemeinsamen Linie zu finden. Es sei eine historische Pflicht, den drohenden Staatsbankrott abzuwenden. Das Land stehe vor harten Verhandlungen mit seinen europäischen Partnern und müsse Geschlossenheit zeigen. Papandreou unterstrich aber auch, seine Regierung werde "notfalls auf sich allein gestellt ihre Pflicht tun". Doch die Debatte zeigte einmal mehr, wie gespalten die politische Klasse des Landes ist. Zeitweilig verließen die Abgeordneten der konservativen Opposition aus Protest gegen eine Rede des sozialistischen Vizepremiers geschlossen den Plenarsaal. Trotz der existenzbedrohenden Krise des Landes finden die Parteien keine gemeinsame Linie.

Der sozialistische Premier hatte am vergangenen Freitag sein Kabinett umgebildet. Wichtigste Änderung: Papandreou löste seinen Finanzminister Giorgos Papakonstantinou ab, der wegen seines strikten Sparkurses auch in der eigenen Partei zum roten Tuch geworden war. Neuer Chef im Finanzressort ist der bisherige Verteidigungsminister Evangelos Venizelos, der zugleich das Amt eines Vizepremiers versieht.

Während die Abgeordneten im Plenarsaal über die Vertrauensfrage debattierten, versammelten sich vor dem Parlamentsgebäude auf dem Syntagmaplatz, wie allabendlich seit vier Wochen, Tausende Demonstranten, um gegen den Sparkurs der Regierung zu protestieren. Viele verfolgten die Liveübertragung der Debatte auf ihren Smartphones. "Diebe, Diebe" skandierten die Demonstranten und richteten ihre Fäuste auf das Parlamentsgebäude. Die Kundgebung verlief jedoch friedlich. Bis auf einige Jugendliche verließen die mehr als 20.000 Demonstranten den Platz vor dem Abgeordnetenhaus, ohne dass es zu Auseinandersetzungen mit der Polizei kam. Einsatzkräfte
benutzten am frühen Mittwochmorgen Tränengas, um eine kleine Gruppe Jugendlicher zu vertreiben, die ausharrten. Berichte über Verletzte oder Festnahmen lagen am Mittwochmorgen nicht vor.

Papandreou scheint sich des Vertrauensvotums sicher gewesen zu sein. Er hatte bereits gestern Nachmittag, Stunden vor der Abstimmung, für den heutigen Mittwochnachmittag eine Kabinettssitzung einberufen. Das zeigt: der Premier gönnt sich und seiner Mannschaft keine Atempause. Die hat er auch nicht. Mit dem Vertrauensvotum hat Papandreou nur eine Hürde genommen. Die schwierigste Prüfung steht ihm erst noch bevor: bis Ende Juni muss er das neue Spar- und Privatisierungsprogramm durchs Parlament bringen - gegen erhebliche Widerstände in der eigenen Partei. Über dieses Konsolidierungspaket soll das Kabinett heute Nachmittag beraten. Von seiner parlamentarischen Verabschiedung hängt sehr viel ab: für Papandreou, für Griechenland und für die Währungsunion. Denn nur wenn das Athener Parlament den Gesetzentwurf passieren lässt, wollen die Euro-Finanzminister bei ihrem Sondertreffen am 3. Juli die nächste Rate der Hilfskredite für Griechenland bewilligen - zwölf Milliarden Euro, die Athen dringend braucht. Bleibt das Geld aus, wird Griechenland bereits Mitte Juli zahlungsunfähig. Welche Konsequenzen das für das Land, die anderen Schuldenstaaten und die Zukunft der gemeinsamen Währung hätte, kann man sich noch gar nicht ausmalen.

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Schreckt dieses Horrorszenario nicht auch die konservative Opposition und ihren Führer Antonis Samaras? Offenbar nicht. "Wir werden gegen das Programm stimmen, denn es wird nicht funktionieren", kündigte Samaras an - trotz aller Appelle seiner konservativen Parteifreunde in Europa, endlich die Konsolidierungsbemühungen mitzutragen.

Der erhoffte Regierungssturz ist Samaras immerhin letzte Nacht nicht geglückt, Papandreou ist bei der mitternächtlichen Abstimmung nicht gestolpert. Das Land ist damit vorerst nicht ins Chaos abgestürzt sondern hat seine Chance gewahrt - fürs erste. Der neue Finanzminister Evangelos Venizelos wird diese Nacht wenig Schlaf finden. Er trifft heute Früh die Troika, wie man die Delegationschefs der EU-Kommission, des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Europäischen Zentralbank (EZB) in Athen nennt. Venizelos muss mit ihnen über die Einzelheiten der mittelfristigen Finanzplanung für die Jahre 2011 bis 2015 reden. Die Zielmarken stehen fest: in diesem Jahr soll Griechenland das Haushaltsdefizit auf 7,4 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt begrenzen, um die Defizitquote bis 2015 schrittweise auf ein Prozent zu drücken. Das erfordert ein Konsolidierungsvolumen von rund 28 Milliarden Euro, was immerhin 13 Prozent des aktuellen BIP entspricht. Davon muss der Finanzminister bereits in den verbleibenden sechs Monaten dieses Jahres rund 6,5 Milliarden umsetzen. Das sind die Eckdaten. Wie Venizelos diese Vorgaben erreicht, ist ihm weitgehend selbst überlassen. Aber die Troika will sich vergewissern, dass die Finanzplanung realistisch ist. Da hat es in der Vergangenheit bereits böse Überraschungen gegeben. Der jetzt abgelöste Finanzminister Giorgos Papakonstantinou setzte die Steuereinnahmen viel zu hoch an und überschätzte die Sparpotenziale. So lief das diesjährige Budget bereits in den ersten fünf Monaten um 3,2 Milliarden Euro aus dem Ruder: die Steuereinnahmen lagen Ende Mai um 2,16 Milliarden unter dem Plan, die Ausgaben um 1,05 Milliarden darüber. Umso genauer sehen die Inspekteure der Gläubiger nun hin.

Venizelos muss jetzt im Eiltempo versuchen, den Haushalt wieder ins Lot zu bringen. Zugleich muss er das von seinem Vorgänger hinterlassene Konsolidierungsprogramm so weit entschärfen, dass es durchs Parlament kommt. Er wird versuchen, die Lasten gerechter zu verteilen und niedrige Einkommen zu schonen. Ein wichtiges Thema bleibt auch die Bekämpfung der Steuerhinterziehung, die eine der Ursachen der Schuldenkrise ist. Bei der Reorganisation der chaotischen und korrupten Finanzverwaltung ist der bisherige Finanzminister nicht nennenswert vorangekommen. Sein Nachfolger wird es nicht nur in diesem Punkt besser machen müssen. Inzwischen beginnt sich auch in Brüssel die Erkenntnis herumzusprechen, dass Griechenland mit Sparprogrammen allein nicht vor der Pleite zu retten ist. Wenn das Land von seinen Schulden herunterkommen soll, braucht es vor allem Wachstum. Finanzminister Venizelos will gemeinsam mit der EU-Kommission nach Möglichkeiten suchen, die Griechenland zustehenden, bisher aber nicht abgerufenen Mittel aus den Brüsseler Förderfonds locker zu machen. Dabei handelt es sich immerhin um rund 20 Milliarden Euro.

Die politisch heikelste Aufgabe sind für Premier Papandreou und seinen Finanzminister jetzt aber die Privatisierungen. Griechenlands Gläubiger erwarten bis Ende Juni ein detailliertes, vom Parlament gebilligtes Programm zum Verkauf staatlichen Unternehmen und Liegenschaften. Damit sollen bis 2015 rund 50 Milliarden Euro in die Kasse kommen - Geld, mit dem Griechenland eigene Anleihen zurückkaufen und die Schuldenlast mindern könnte. Doch die Widerstände in der Regierungspartei sind erheblich. Schließlich hatte Papandreou noch vor zwei Jahren als Oppositionsführer versprochen, Privatisierungen wie den Verkauf von Hellenic Telecom an die Deutsche Telekom wieder rückgängig zu machen. Stattdessen muss er jetzt im Eilverfahren weitere Staatsunternehmen zum Verkauf stellen. Dagegen revoltieren auch die Gewerkschaften. Sie wollen die Privilegien der Bediensteten bei den Staatsfirmen verteidigen. Dort verdient man teils doppelt und dreimal so viel wie in der Privatwirtschaft. Zu einer erbitterten Kraftprobe könnte vor allem der geplante Verkauf von 17 Prozent des staatlichen Stromversorgers DEI werden. Seit Montag streiken die Bediensteten des Unternehmens. Bereits 16 Kraftwerke mussten deshalb vom Netz genommen werden. Die Folge: seit gestern gibt es stundenlange Stromabschaltungen in allen Landesteilen.

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