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Papstbesuch in Deutschland: Drängende Fragen wurden überhört

Benedikt XVI. ist 84 Jahre alt und wird vermutlich nicht noch einmal nach Deutschland kommen. Was er von Donnerstag bis Sonntag gesagt und gepredigt hat, ist sein Vermächtnis für die Deutschen. Die Bilanz des Papstbesuches fällt gemischt aus.

Die westlichen Gesellschaften sind aus seiner Sicht gefährdet durch einen „alle Lebensbereiche durchdringenden Relativismus“, durch einen „übersteigerten Individualismus“, durch einen absolut gesetzten Positivismus und Materialismus. Kaum noch jemand will sich dauerhaft binden, diagnostiziert der Papst, grundlegende, unumstößliche Werte drohten, verloren zu gehen. Benedikt ist gekommen, um die Deutschen zu warnen, sie zur „Umkehr“ zu ermahnen und für Gottes Botschaft der Liebe zu werben. Das hat er getan. Er hat seine Standpunkte vertreten, authentisch und mit klaren Worten. Man kann ihm nicht vorwerfen, er sei eingeknickt. Allerdings ist der Papst weder auf die drängenden Probleme innerhalb der katholischen Kirche eingegangen, noch hat er einen Impuls für die Annäherung an die evangelische Kirche gegeben. Er hat Protestanten wie Katholiken mit seinen bisweilen schroffen Worten brüskiert.

Erfolgreich war der Staatsbesuch am Donnerstag in Berlin. Die Begegnungen mit dem Bundespräsidenten und mit der Bundeskanzlerin verliefen in freundschaftlicher Atmosphäre. Mit seiner Rede im Bundestag hat Benedikt XVI. selbst seine Kritiker überrascht. Er hat seine Botschaft abgemildert, wonach es außerhalb des Evangeliums und der katholischen Kirche keine Wahrheit und kein Heil geben kann. Er hat deutlich gemacht, dass er andere Sichtweisen zumindest respektiert.

Auch bei Juden und Muslimen kam Benedikt gut an, weil er bei den Treffen mit ihnen die Gemeinsamkeiten der abrahamitischen Religionen in den Mittelpunkt stellte und nicht so sehr das Trennende. So konnte er etwas von der Missstimmung der vergangenen Jahre auflösen. Allerdings wurde auch nicht über heikle Themen gesprochen. In Thüringen war die Messe im Wallfahrtsort Etzelsbach im traditionell katholischen Eichsfeld ein Heimspiel. 90 000 Menschen kamen – mehr als erwartet. Benedikt lobte die Eichsfelder für ihre Glaubensstärke, die sie sich auch während der DDR bewahrt haben.

Die Ökumene liegt dem Papst am Herzen, aber nicht die mit den Protestanten. Lesen Sie weiter auf Seite 2.

Die Begegnung mit den Protestanten im Erfurter Augustinerkloster wird in die Geschichte eingehen. Es ist eine Sensation, dass ein Papst die Wirkungsstätte von Martin Luther besucht und dort zusammen mit dessen Nachfahren gebetet hat. Den Evangelischen wird sicher auch noch lange in den Ohren klingen, wie Benedikt ihren Annäherungsversuchen eine klare Abfuhr erteilt hat. In schroffem Ton hat er ihre Wünsche auf ein „ökumenisches Gastgeschenk“ zurückgewiesen, ihre Hoffnungen als „selbst gemacht“ und „wertlos“ abgetan. Der Kontrast dazu, wie der Papst mit der orthodoxen Kirche umgeht, könnte kaum größer sein. Beim Treffen mit orthodoxen Kirchenvertretern bekräftigte der Pontifex, wie wichtig es sei, dass weiter an der Klärung theologischer Differenzen gearbeitet werde und dass er für die Überwindung der Kirchenspaltung bete. Die Ökumene liegt Benedikt XVI. durchaus am Herzen, aber nicht die mit den Protestanten.

Vielleicht tröstet es die Evangelischen: Sie sind nicht die Einzigen, die von Benedikt wenig freundlich behandelt wurden. Der katholischen Kirche in Deutschland warf er vor, sie hänge an „überkommenen Strukturen“, habe viel Geld, aber wenig Glauben, ihre Religiosität sei leere „Routine“. „Agnostiker, die von der Frage nach Gott umgetrieben werden; Menschen, die unter unserer Sünde leiden und Sehnsucht nach reinem Herzen haben, sind näher am Reich Gottes als kirchliche Routiniers, die in ihr nur noch den Apparat sehen, ohne dass ihr Herz vom Glauben berührt wäre“, predigte er beim Abschlussgottesdienst am Sonntag auf dem Freiburger Flughafengelände. Die Kirche müsse sich „von ihrer materiellen und politischen Last befreien“, sie müsse Gewohnheiten und Konventionen abstreifen.

Um nach dem Missbrauchsskandal im vergangenen Jahr Vertrauen zurückzugewinnen, hat die Deutsche Bischofskonferenz mühsam einen „Gesprächsprozess“ mit dem Zentralkomitee der Deutschen Katholiken (ZdK) in Gang gebracht. Bischöfe und das Kirchenvolk wollen über Probleme und Reformen in der Kirche diskutieren. Vor allem der Freiburger Erzbischof Robert Zollitsch, der Vorsitzende der Bischofskonferenz, hat sich sehr dafür eingesetzt. Nach den Tagen in Freiburg ist klar, was der Papst davon hält: nicht viel. Er erwähnte den Gesprächsprozess kein einziges Mal.

Beim Empfang für katholische Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, darunter die früheren Bundesverfassungsrichter Ernst-Wolfgang Böckenförde und Paul Kirchhof, mahnte der Papst am Sonntag die Treue der Katholiken zu ihren Bischöfen an und forderte von der Kirche, sich nicht „den Maßstäben der Welt“ anzugleichen. Um ihre Sendung zu verwirklichen, wird die Kirche immer wieder auf Distanz zu ihrer Umgebung gehen, sie hat sich gewissermaßen zu ‚ent-weltlichen‘. Nur so könne die Kirche ein „Skandalon“, eine Zumutung bleiben und das Geheimnisvolle, Unfassbare des Glaubens zur Geltung bringen.

Benedikts Forderung nach einer Entweltlichung der Kirche ist auch eine Reaktion auf die Missbrauchsskandale. Die „schmerzlichen Skandale der Verkünder des Glaubens“ hätten die Botschaft Christi so sehr verdeckt, dass es nun „um so mehr wieder an der Zeit ist, die Weltlichkeit der Kirche abzulegen“. Am Rande seines Besuchs hatte er sich mit einer Gruppe von Missbrauchsopfern getroffen. Die Begegnung habe ihn „bewegt und erschüttert“, hieß es. Wer die Betroffenen sind, wie sie ausgewählt wurden und wie sie das Gespräch empfunden haben, wurde nicht bekannt. Das Treffen ändere nichts an seinem Eindruck, dass die Kirche nicht bereit sei, über die systemischen Ursachen für den Missbrauch zu sprechen, sagte Matthias Katsch. Er ist der Sprecher des Eckigen Tischs, einem Bündnis, in dem sich die an Jesuitenschulen missbrauchten Opfer zusammengeschlossen haben. Er war bei dem Treffen mit dem Papst nicht dabei. Viele Opfer seien es leid, „weiter den Unwilligen hinterherzulaufen“, die fest entschlossen seien, die drängenden Fragen zu überhören.

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