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Politik: Paris protestiert

Hunderttausende Franzosen gehen auf die Straße – doch Sarkozy lehnt Forderungen der Gewerkschaften ab

Zum zweiten Mal innerhalb von sechs Wochen haben am Donnerstag Hunderttausende Franzosen aus Protest gegen die Wirtschafts- und Sozialpolitik von Präsident Nicolas Sarkozy die Arbeit nieder. Sie folgten Aufrufen der acht größten Gewerkschaften des Landes, die von der Regierung eine größere soziale Ausgewogenheit im Kampf gegen die Krise verlangen. Unter anderem fordern sie Steuererhöhungen für Reiche, ein Nachfrageprogramm zur Konjunkturstützung, sowie den Verzicht auf den geplanten Stellenabbau im öffentlichen Dienst.

Dem Ausstand, von dem in erster Linie der öffentliche Dienst, die Verkehrsbetriebe sowie das Erziehungswesen betroffen waren, schlossen sich wiederum Beschäftigte von krisengeschüttelten privaten Unternehmen an. Während in Lille und anderen großen Städten der Provinz bereits am Vormittag Kundgebungen stattfanden, an denen Martine Aubry, die Parteichefin der Sozialisten und andere Politiker der Opposition teilnahmen, kam in Paris erst am Nachmittag eine unübersehbare Menschenmenge zu einem Protestmarsch vom Platz der Republik zum Platz der Nation zusammen. Die Gewerkschaften rechneten bis zum Abend mit einer Beteiligung, die über der des Massenprotests vom 29. Januar liegt. Damals waren zwischen einer und zwei Millionen Menschen auf die Straße gegangen.

Trotz der Arbeitsniederlegungen bei Eisenbahn, öffentlichen Nahverkehrsbetrieben, Flughäfen, Elektrizitätsversorgung, Télécom, Post oder Schulen gab es keinen „schwarzen Donnerstag“. So verkehrten 60 Prozent der Hochgeschwindigkeitszüge TGV sowie die Züge nach London, Brüssel, Köln und Amsterdam planmäßig, ebenso 40 Prozent der übrigen Fernzüge. Im Regionalverkehr fielen 60 Prozent der Züge aus, dagegen fuhren U-Bahn und Busse in Paris wie normal. An den Pariser Flughäfen Charles de Gaulle und Orly wurden wegen des Ausstands der Fluglotsen 30 beziehungsweise zehn Prozent der Verbindungen gestrichen. Dass sich die Störungen des öffentlichen Lebens wiederum in Grenzen hielten, ist eine Folge des neuen Gesetzes über die Einführung eines Minimaldienstes. Das Gesetz verpflichtet Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes, 48 Stunden vor einer Arbeitsniederlegung zu erklären, ob sie sich an dem Ausstand beteiligen. Das ermöglicht es den Arbeitgebern, die Dienstabläufe an Streiktagen besser zu organisieren.

Die Verkürzung der gesetzlichen Arbeitszeit erlaubt es ferner den Beschäftigten, die ihnen zustehenden arbeitsfreien Tage während eines Streiks in Anspruch zu nehmen. Das hat den Vorteil, dass sie sich an den Protesten beteiligen können, ohne einen Verdienstausfall hinnehmen zu müssen.

Die Forderungen der Gewerkschaften hatte Präsident Sarkozy bereits vor seiner Abreise zum EU-Gipfel am Donnerstag in Brüssel abgelehnt. Es werde nach dem beim Treffen mit den Gewerkschaften am 18. Februar verkündeten Sozialprogramm von 2,6 Milliarden Euro keine weiteren Maßnahmen geben, sagte der Staatschef. Auch an der Begrenzung der Steuerbelastung von Reichen, die er nach seiner Wahl 2007 eingeführt hatte, will er nicht rütteln lassen. Die Forderung war in den vergangenen Tagen auch aus den Reihen der Regierungspartei UMP erhoben worden.

Sarkozys Haltung stößt bei den Franzosen auf Unverständnis. 78 Prozent unterstützen laut einer neuen Umfrage die Forderungen der Gewerkschaften. Nur noch 38 Prozent glauben, dass er die Lage zum Besseren zu wenden vermag. 35 Prozent trauen dies inzwischen dem Chef der linksextremistischen Neuen Antikapitalistischen Partei, Olivier Besancenot, zu.

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