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Agnes Krumwiede von den Grünen bekommt Anfragen von Modezeitschriften.

© dpa

Parlament: Dürfen Politikerinnen schön sein?

Aber sicher dürfen Politikerinnen gut aussehen! Und werden sie dann noch als solche wahrgenommen? Das ist weniger sicher.

Aus ihrem Mund nimmt sich das Wort „unverschämt“ wie eine müde, vornehme Zurechtweisung aus. Sahra Wagenknecht trägt ein schwarzes, ärmelloses Kleid, dazu eine schwere, aufwendig gearbeitete Perlenkette. Ihre Haltung würde jedem Hofzeremoniell genügen. Sie erscheint makellos, ausgesucht höflich. Im Regal hinter dem Schreibtisch lehnt eine kleine Postkarte, darauf eine Abbildung der berühmten „Sixtinischen Madonna“ Raffaels. „Sagen Sie mal, Frau Wagenknecht, hätten Sie Karriere gemacht, wenn sie nicht aussehen würden, wie sie aussehen?“ Solche Fragen seien ihr also durchaus gestellt worden, sagt sie. „Kränkend ist das, eine Unverschämtheit.“ Sie hebt die Stimme keinen Millimeter mehr als nötig. Sahra Wagenknecht, wirtschaftspolitische Sprecherin der Partei Die Linke, interessiert sich nur mühsam für ein Gespräch über ihre eigene Schönheit. Der Zusammenhang zwischen Schönheit und Erfolg erscheint ihr eher absurd. Es sei ja nichts Schlimmes, gut auszusehen, sagt sie. „Aber ich bin mir ziemlich sicher, wäre ich blöd ...“ Sie lässt den Satz fallen. „Man kann dann eine Rolle spielen, aber keine eigenständige“, sagt sie und fügt ein Bild hinzu, in dem sie sich nicht wiedererkennt. Es zeigt das artige, hübsche Parteimädchen, „die nette Zierde, die man irgendwo mit aufs Plenum setzt“.

Es ist das mächtige Bild der Stammtische, das Bild der Vorzeigefrau und Polit-Diva, die sich selbst und ihren Gönnern mediale Aufmerksamkeit und damit einen Vorteil verschafft. Sahra Wagenknecht eignet sich hervorragend dafür. Ihre politischen Standpunkte sind umstritten genug, ihre Schönheit dagegen unumstritten. Die Politik liebt Frauen wie sie. Schön und leistungsbereit. Die Entwicklung ist relativ jung.

Im Grunde darf es einen nämlich gar nicht interessieren. Das Äußere. Der Trend zur Personalisierung, zur medienbewussten Arbeit an der glänzenden Fassade ist für die Politik ein ziemlich heikles Projekt. Man ist aufs Allgemeinwohl verpflichtet, auf den Anschein äußerer Bescheidenheit. Vorsicht ist geboten, auch für Dorothee Bär.

Die stellvertretende Generalsekretärin der CSU hat es mit ihrem Büro diskutiert. Soll sie über die Schönheit sprechen, soll sie es nicht? Sie tut es, herzlich wirkt sie, zugewandt. Ihr volles, dunkles Haar trägt sie hochgesteckt, eine Strähne fällt ihr in die Stirn, die sie sofort wieder nach oben streicht. „Das hat halt immer ein Geschmäckle, wenn es um Äußerlichkeiten geht“, sagt sie. Der Grund, doch darüber zu reden, entspringe ihrem Ärger über die an Männer und Frauen unterschiedlich angelegten Attraktivitätsmaßstäbe.

Mehrfach hat man sie hingewiesen auf ihr „adäquates oder nicht adäquates Erscheinungsbild“. Gleich in der ersten Zeit ihres Mandates 2002. Die damals 24-jährige Abgeordnete fiel unangenehm auf, weil sie ohne Blazer über der weißen Bluse vors Rednerpult trat. Kolleginnen machten eine Bemerkung über parteiinternes Geraune. Moniert wurden zudem: die Höhe des Rocksaumes, die Tiefe des Dekolletés. Auch die Schuhe missfielen. Die Absätze waren zu steil, um noch als angemessen christlich-sozial zu gelten.

Es liegt am jahrhundertelangen Training, das eine Gesellschaft im abschätzigen Umgang mit Frauen hat. Man findet immer etwas. Bei Sahra Wagenknecht war es die Frisur. „Ein bisschen moderner, peppiger“ wollten es die Marketingexperten. Außerdem müsse man sich über die Garderobe unterhalten. Sie habe sich, sagt Sahra Wagenknecht, dagegen verwahrt. Man möge ihr wegen der Haare unterstellen, was immer man wolle.

Man unterstellt der schönen Frau leicht etwas. Für gewöhnlich die kalte Berechnung. Es ist stets derselbe Vorwurf, stets dieselbe Erwiderung. Die schöne Frau tut so, als entkomme sie der Unterstellung. Sie blendet aus. Sahra Wagenknecht etwa reserviert die Schönheit für das, was über das Private hinausgeht: für die Kunst, die Sprache Goethes und Shakespeares, die Malerei der Renaissance. Für die eigene Person versucht sie, das Gespräch von der Schönheit weg auf „die Kenntnisse“ zu lenken, durch die sie überzeugen und wirken wolle. Das Wort „Argument“ kommt in unserem Gespräch mit Abstand am häufigsten vor. Das „Argument“ und sein gefährlicher Gegenspieler: das „billige Argument“. Dazwischen zieht Sahra Wagenknecht eine Linie, die Kampflinie, an die sie sich hält, und die Männer wie der FDP-Generalsekretär Christian Lindner nicht akzeptieren wollen. Im Wirtschaftausschuss höre sie von diesen Männern unablässig dieselben billigen Argumente. Dass die Forderung nach Mindestlöhnen marxistisch sei zum Beispiel. Sie lächelt, fein und herablassend. Wie jemand, der um seine Überlegenheit weiß. Männer muss dieses Lächeln enorm provozieren. Es fehlt ihm die entscheidende Prise an Demut.

Die Frau in der deutschen Politik war eine Fremde. Um Unauffälligkeit bemüht, zurückgenommen, so als wollte sie sich keinen Ärger zuziehen, kein böses oder strafendes Wort. Einsamer ist sie gewesen, um vieles älter als ihr männlicher Kollege. Durchaus gebildeter. Im Datenhandbuch des Deutschen Bundestages liest sich das in Form von Statistiken und reicht bis weit in die 80er Jahre hinein. Bundesdeutsche Politikerinnen haben weniger Kinder als ihre Kollegen, sie sind seltener verheiratet, dafür häufiger verwitwet oder geschieden, sie haben überdurchschnittlich oft das Abitur. Die Vatertöchter sollen es sein, die es ins Politische zieht, Frauen aus traditionellem Elternhaus, die besser daran tun, keine Hosen zu tragen.

Bundestagsvizepräsident Richard Jaeger (CSU) war jedenfalls strikt dagegen. Er werde keine Frauen in Hosen dulden, verkündete er 1970 unter heftigstem Gejohle der Parlamentarier. Nicht in diesem hohen Hause! Und schon gar nicht am Rednerpult! Die Antwort auf dieses Verbot bedeutet in der Geschichte der Emanzipation eine kleine Zäsur. Nachdem die FDP-Abgeordnete Lieselotte Funcke wegen Figurproblemen abgesagt hatte, trat Lenelotte von Bothmer (SPD) am 15. April 1970 in einem hellen Hosenanzug ans Rednerpult. Die Tagesschau berichtete ausführlich, böse Leserbriefe an die Abgeordnete folgten.

Das Signal war angekommen, und es richtete sich nicht nur an die Herren, sondern auch an die eigenen Genossinnen. Annemarie Renger, erste Präsidentin des Bundestages, zu jener Zeit Sprecherin des Bundesfrauenausschusses der SPD, erfüllte das für von Bothmers Geschmack entschieden zu harmlose Frauenbild der zeremoniell begabten, elegant gekleideten Dame. Die Journalisten unterstellten naturgemäß Neid. „Frau Renger hat den unschätzbaren Vorteil, gut auszusehen“, schrieb ein Frankfurter Journalist und erhob sie „von der Optik her“ zur „Zentralfigur des Bundestags“. Wie naheliegend, so der Journalist, „dass sich Frau Renger durch ihr gutes Aussehen sofort die Animositäten aller anderen Frauen zugezogen“ habe. Die Logik dahinter ist schlicht wie lüstern.

Eine schöne Frau kann alles, sprich, sie kann jeden haben. Ihre Attraktivität ist ein gültiges Ticket. Wie sollte man darauf nicht neidisch sein? Die Kulturkritikerin Naomi Wolf hat Anfang der 90er Jahre in ihrer Analyse des „Mythos Schönheit“ sehr polemisch über das Prestige weiblicher Schönheit als neue Spielart der Unterdrückung von Frauen nachgedacht, als eine Art Währung, die parallel zur männlichen Geldwährung funktioniert. Der Mann leistet sich die Schönheit der Frau wie einen schmeichelhaften Besitz, und die Frau, geblendet vom Mythos ihrer eigenen Schönheit, den ihr der Mann unablässig vor Augen hält, steigt ein. Sie tut alles, um ihren Wert als kostbares Objekt zu erhalten, gefesselt wie Sisyphos müht sie sich ab an einem letztlich nie erreichbaren Ziel. In diesem Sinn wäre es ein Verzicht, eine Selbstbeschränkung. Wer sich um die eigene Schönheit sorgt, kann nichts Klügeres mehr denken, geschweige denn selbstbewusst handeln.

Im Gegenteil, Schönheit ist zum rasch wirksamen, vermeintlich entscheidenden Vorteil geworden. Sie ist, darauf schwört eine von Attraktivität und Jugendlichkeit besessene Gesellschaft, keine Kategorie mehr unter vielen, längst auch keine platonische Idee, die verknüpft ist mit der Vorstellung eines Göttlichen, an dem jeder Mensch qua seines Menschseins teilhat. Schönheit ist profitabel, eine ungerecht verteilte Ressource. Hauptsache, die eigenen Aktien steigen. Man hat höhere Chancen bei der Bewerbung und der Kreditvergabe, auf dem Bahnsteig üben Mädchen den Catwalk für Heidi Klum. Schönheit riecht nach Glamour, sie kann mehr als graue Politik. Der Moderator Jörg Thadeusz zum Beispiel glaubt fest daran.

Ob ihr überhaupt eine einzige schöne Politikerin einfiele, fragte er einmal Anne Will. Er machte ein verdrießliches Gesicht, und als sein Gast nicht antworten mochte, antwortete er selbst. Dass es nicht weit her sei mit der Schönheit der deutschen Politikerinnen, sagt er, und dass höchstens diese FDP-Frau, wie heiße sie doch gleich, na diese Silvana Koch-Merin die ungefähre Anwendung des Adjektivs „schön“ verdiene, aber die sei in Brüssel, was soll’s. Es hörte sich an, als müsste sich der Deutsche Bundestag schämen.

Man kann sich die Szene leicht vorstellen: Imageberater erklären den Politikern die Gesetze des visuellen Wahlkampfes. Die Politik hört artig zu, beflissen ahmt sie die Gesetze der Ausstrahlung nach. Sie kauft sich neue Brillen, neue Frisuren. Sie verändert ihren Typ. Die schöne Frau tut sich paradoxerweise am schwersten.

Es liegt am Risiko. Am Missverständnis, das sie wie ein Schatten begleitet. Sie darf es auf keinen Fall übertreiben. Nicht angreifbar schön sein, nicht verletzlich, hellauf hysterisch schön. Ihre Weiblichkeit könnte schnell ein „zu viel“ bedeuten. Jede Koketterie könnte sich rächen. Wie derlei enden kann, hat Gabriele Pauli, die „schöne Landrätin“ aus Franken, vorgeführt, deren letztes Fünkchen politischer Würde längst unter ein paar Lack- und Lederfotos erstickt ist. Man kann es als Marketingpanne abtun, als Fiasko der Selbstüberschätzung bespötteln, das Politiker unter dem Druck enormer Ermüdungserscheinungen der Demokratie eingehen. Für eine Frau kehrt diese Farce aus dem Reich der politischen Esoterik als Warnung zurück.

Weiblichkeit macht auf dem Feld der Politik angreifbar. Es gehöre Mut dazu, sagt die Politikwissenschaftlerin Birgit Meyer, sich in der Politik zu ihr zu bekennen. Man riskiert die Blamage, oder die Verachtung. Eine Art allergischer Reaktion zwischen Frauenkörper und Machtanspruch geht zuweilen vor sich. Birgit Meyer fasst es als eine Form der Bedingung. „Nur wenn Politikerinnen ihre Weiblichkeit abgesprochen wird, scheint ihre Macht der Presse erträglich zu sein.“ Und habe die Kanzlerin jenes tief ausgeschnittene Abendkleid nicht erst vorgeführt, als sie mächtig genug war, um sich weiblich zu zeigen? Mit anderen Worten: Die Politikerin braucht ein Sicherheitsdepot, einen Vorsprung, um das Kleid zu riskieren. Eine Politikerin an ihre Weiblichkeit zu erinnern, heißt, sie zurückzupfeifen. Man kann auch „Mutti“ zu ihr zu sagen. Oder „Miss Bundestag“.

Mag sein, „Miss Bundestag“ verweigert einem daraufhin das Lächeln. Sie besteht auf Ernsthaftigkeit, auf Tempo, fast als könnten ihre Sätze die Fragen abfangen, von denen sie ahnt, worauf sie zielen werden. Auf ihre Schönheit, auf die Ausbildung zur Pianistin, auf das Talent, auf die erste Rede im Bundestag und das Foto, auf dem zu sehen war, wie Jürgen Trittin sich den Kopf nach ihr verdreht.

Seit einem Jahr gehört die 32-jährige Musikerin Agnes Krumwiede dem Bundestag an. Sie arbeitet an kommunalen Bildungsthemen, an der Kulturfinanzierung, den Frauenquoten und gegen den Einsatz von Gentechnik in der Landwirtschaft. Die Medien aber wollen Fotos. Modemagazine fragen an, Journalisten treffen sich mit ihr und lassen sich romantische Klavierstücke vorspielen. „Das Exotische“ an ihr sei schuld, diese Mischung aus Künstlertum und vorteilhaftem Äußeren. „Das hat mir eine Tür geöffnet“, sagt sie, „und dagegen wehre ich mich nicht.“ Die Leute hörten einem eher zu. Aber die Leute dächten auch, man wäre blöd. Die schöne Frau kann sich auf den Kopf stellen. So schnell lassen die Leute nicht zu, dass eine richtige Politikerin aus ihr wird. Und wenn doch, wird man ungehalten.

Dann ist die Geduld erschöpft, die Sympathie verödet. Die Herren, die vorher noch so nett waren, sie werden giftig. „Sie haben aber eine große Tasche“, bemerkte ein Kollege neulich, „die ist ja drei Mal größer als meine.“ „Ich hab vielleicht mehr zu tun“, antwortete Frau Krumwiede. Der Herr mimte die beleidigte Leberwurst: „Mein Gott, sind Sie zickig!“

Dorothee Bär gibt sich vorsorglich. „Holt doch mal die Doro mit aufs Bild“, habe es früh geheißen, wenn ein „schmückendes Foto“ verlangt war. Sie lässt ihre Stimme dunkel und polternd klingen. Als 14-jähriges CSU-Mitglied sei sie bereits auf Pressefotos des unterfränkischen Lokalteils gelangt. Die Sprüche der Männer gehörten dazu. Sie empfehle Gelassenheit und „einen Spruch zurück“. Man könne selbstverständlich auch „eine verbitterte, verbiesterte Ziege“ sein. Sie aber glaubt nicht, dass das weiterhilft.

Die (schöne) Politikerin hat ihre Lektion verstanden. Sie weiß, alles ist seinen Kommentar wert, und sie hat gelernt, ihn im Voraus zu berechnen. Sie ereifert sich nicht, sie zählt keine Zwischenrufe wie noch die ehemalige bayerische SPD-Kandidatin für das Ministerpräsidentenamt Renate Schmidt, die während einer 20-minütigen Rede einmal auf die Zahl 55 kam. Vorbei auch die Zeiten, als eine Ökoaktivistin wie Petra Kelly am Rednerpult, blass und fast durchsichtig vor Erschöpfung und Kampfgeist, die Häme der Männer hinnahm wie eine Heilige die Beleidigungen der Frevler. Nein, die Angriffsfläche ist kleiner geworden. Die Zeichen des Konfliktes subtiler. Stark zu bezweifeln ist, dass der Konflikt damit entschieden ist. Ursula von der Leyen schneidet zeitnah zum Sprung auf die Ministerebene die langen Mädchenhaare ab, die CDU-Familienministerin heiratet unmittelbar nach Übernahme ihres Amtes, die Haare ebenfalls gekürzt, ordentlich in Weiß.

Man kann das als Anpassung und vorauseilenden Gehorsam verstehen oder umgekehrt als Zeichen der Klugheit und Form der Verweigerung, sich verwickeln zu lassen in die falschen Fragen, die immer noch weiblich sind. Zum Thema weibliche Schönheit in der Politik jedenfalls mögen die CDU-Frauen nichts sagen. Sie sind zu nah an der Macht.

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