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Recep Tayyip Erdogan, Präsident der Türkei.

© dpa

Parlamentswahl in der Türkei: Wird Erdogans Kalkül aufgehen?

Der türkische Präsident Erdogan wollte Neuwahlen, um seine Macht auszubauen. Ob das mit der Wahl heute gelingt, ist ungewiss.

Schon vor dem Wahltag wird über das Datum für den nächsten Urnengang spekuliert – in der Türkei erwartet niemand, dass die Parlamentswahl vom Sonntag eine schnelle und einfache Lösung für die politischen Probleme in Ankara bringen wird. Intensiv denken Präsident Recep Tayyip Erdogan, die Regierung und die diversen Parteien über verschiedene Handlungsoptionen nach. Alle Überlegungen haben eine Grundannahme gemeinsam: Einfach wird es nicht.

Damit kehrt die Türkei zu Zuständen der politischen Unsicherheit zurück, die in den vergangenen Jahrzehnten oft die Regel waren. Erst der Wahlsieg der Erdogan-Partei AKP vor fast genau 13 Jahren läutete eine neue Ära ein. Die Wahl vom 3. November 2002 ermöglichte der AKP eine Alleinregierung. Mehrmals wiederholte Erdogan diesen Erfolg und erreichte bei der Wahl von 2011 die historische Höchstmarke von knapp 50 Prozent der Stimmen.

Doch seitdem geht der Stimmenanteil der AKP zurück; bei der Parlamentswahl vom Juni sackte sie auf 41 Prozent ab. Das ist nach mehr als zwölf Jahren an der Macht zwar immer noch eine beeindruckende Zahl, doch büßte die Erdogan-Partei die absolute Mehrheit der Sitze in der Großen Nationalversammlung von Ankara ein. Eher pro forma führte Ministerpräsident und AKP-Chef Ahmet Davutoglu anschließend einige Koalitionsgespräche: Es war ein offenes Geheimnis, dass Erdogan, der nach wie vor der entscheidende Mann für die AKP ist, rasche Neuwahlen wollte.

Erdogan dringt bei der Wahl am heutigen Sonntag auf eine möglichst breite AKP-Mehrheit im Parlament, weil er mithilfe von Verfassungsänderungen ein Präsidialsystem mit weit reichenden Vollmachten für sich selbst als Staatschef einführen will. Dabei denkt Erdogan nicht nur an seine eigene politische Karriere.

Er will die Vorherrschaft der konservativen Anatolier – die strukturelle Mehrheit der Wählerschaft – auf Dauer festschreiben. Wenn sich Erdogan mit seinem Plan durchsetzt, ist es nach den heute bestehenden Kräfteverhältnissen fast ausgeschlossen, dass die Türkei jemals einen linken oder säkularistischen Präsidenten erhält. Die politische Richtung des Landes so auf Jahre hinaus festzuschreiben, ist Erdogans strategisches Ziel.

Es steht nicht gut um Recep Tayyip Erdogans Plan

Aber es steht nicht gut um Erdogans Plan. Die meisten Umfragen sehen die AKP nach wie vor unterhalb der Marke von 276 Parlamentsmandaten, die eine neue Alleinregierung ermöglichen würden. Mit rund 41 Prozent für die AKP, etwa 27 Prozent für die säkularistische CHP, 16 Prozent für die rechtsnationale MHP und zwölf Prozent für die Kurdenpartei HDP prophezeien die Institute einen Wahlausgang, der dem Resultat der Juniwahl sehr ähnlich ist.

Eine Dreifünftelmehrheit von 330 Sitzen, die Verfassungsänderungen ermöglichen würde, ist für die AKP völlig ausgeschlossen. Selbst wenn die AKP erneut allein regieren kann, wird sie also zu schwach sein, um das Präsidialsystem einzuführen. Deshalb lautet das Nahziel der AKP nun Machterhalt. Ohne AKP werde die Türkei ins Chaos stürzen, sagt Davutoglu in seinen Wahlkampfreden. Kritiker meinen, die AKP wolle vor allem eine Untersuchung ihrer Regierungsarbeit durch ein neues Kabinett vermeiden: Die derzeitigen Oppositionsparteien verlangen eine Aufarbeitung der Korruptionsvorwürfe gegen die AKP.

Auch andere Sachthemen und politische Unverträglichkeiten könnten eine Koalitionsbildung erschweren. So fordert die MHP als Vorbedingung für ein Bündnis mit der AKP die endgültige Beendigung des Friedensprozesses mit den Kurden. Sowohl die AKP als auch die MHP lehnen eine Zusammenarbeit mit der kurdischen HDP ab. „Das wird sehr schwer“, sagt ein Regierungsvertreter über die möglichen Koalitionsverhandlungen.

Sollte die Wahl ähnlich ausgehen wie die im Juni, könnte es schon bald wieder Wahlen geben. Zwar schließt Davutoglu einen erneuten Urnengang aus, und auch der Regierungsvertreter in Ankara betont, die Türken hätten Wahlen inzwischen satt. Doch in der AKP wird dennoch munter über einen Neuwahltermin im April spekuliert.

Noch eine andere Option ist möglich. MHP-Chef Devlet Bahceli und andere Akteure sprechen von der Möglichkeit, dass eine „Fünfte Partei“ als neue Kraft die Bühne betritt. Enttäuschte AKP-Politiker wie Expräsident Abdullah Gül arbeiten Presseberichten zufolge an einem solchen Projekt, das die Erdogan-Partei spalten und die politische Landschaft verändern könnte. Dementiert werden solche Pläne ausdrücklich nicht – die Wahl vom Sonntag könnte den Beginn einer neuen turbulenten Ära der türkischen Politik markieren.

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