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Parlamentswahlen in der Schweiz: Blochers Angstkampagne gegen Euro und EU

In der Schweiz wird heute ein neues Parlament gewählt. Die rechte Volkspartei von Christoph Blocher könnte als stärkste Kraft noch stärker werden. Denn im Wahlkampf hatte sie ein tolles Thema für ihre Angstkampagne: Europa und den Euro.

Dunkle Wolken kleben an den Bergen, man könnte das, wenn man es wollte, als Vorzeichen lesen. Auch eine kühle Brise gleitet jetzt über den blitzsauberen Dorfplatz von Stans. Das Denkmal des mythenumrankten Arnold von Winkelried am Kopfende des Platzes steht verlassen da. Einige Männer ziehen laut redend vorüber. Sie haben ein Thema: Der Blocher kommt.

Es ist ein kühler Oktoberabend, als Christoph Blocher, Anführer der nationalkonservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP), auf seiner Wahlkampftour in Stans haltmacht. Das 7600 Einwohner zählende Städtchen im Kanton Nidwalden ist Schweizer Kernland. Gelten die Kantone Unterwalden (Nidwalden und Obwalden), Schwyz und Uri doch als Wiege der Eidgenossenschaft von 1291.

Nidwaldens SVP will Blocher einen großen Empfang bereiten. In der Turmatthalle am Fuß des Stanserhorns drängen sich Hunderte Blocher-Anhänger. Sie trinken Bier und Stanser Apfelwein, lästern über „die da in Bern“. Das sind die Politiker in der Hauptstadt. Auf der Bühne stimmen die „Stanser Jodlerbuebe“ das Publikum mit heimatlichen Weisen ein. Auch der Stanser Parlamentskandidat der SVP jodelt mit.

Dann schlurft ein weißhaariger Mann mit ausgebeultem, grauem Anzug auf die Bühne. Stille. Christoph Blocher ist angekommen. Er rudert mit den Armen. Dann legt er seine Hände auf die vordere Kante des Rednerpultes, als setze er zum Sprung an. Die Männer und Frauen recken die Hälse, sie wollen Blocher sehen – und sie wollen seine Botschaft hören. Obwohl es immer dieselbe Botschaft ist. Im Kopf sortiert er die Themen EU, Euro-Krise und Masseneinwanderung.

Der 71-Jährige war Oberst der Luftschutztruppe, als Chemieunternehmer kam er zu Milliardenreichtum, 2003 zog er sogar als Minister in die Regierung ein. Die Leute sehen in ihm einen der ihren, der es zu etwas gebracht hat. EU und Euro kanzelt er jetzt als „intellektuelle Fehlkonstruktion“ ab. Und Blocher kann die Häme bei dem Wort „intellektuell“ kaum unterdrücken. Auch den Andrang der Fremden müsse man endlich stoppen. „Jetzt ist genug“, schnarrt er. Beifall, Jubel, Bravorufe.

Blochers Botschaft kommt in Stans an – und Blochers Botschaft kommt in der ganzen Schweiz an. Laut letzten Umfragen kann die SVP bei den Parlamentswahlen am heutigen Sonntag mit weiteren Zugewinnen gegenüber den Wahlen von 2007 rechnen – und schon damals holte sie rund 30 Prozent. Die rechtspopulistische Volkspartei dürfte somit ihre Position als stärkste politische Kraft Helvetiens festigen. Seit Mitte der 90er Jahre eilt die frühere Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei von Erfolg zu Erfolg. Die SVP verdoppelte die Zahl ihrer Sitze in der großen Parlamentskammer, dem Nationalrat, von 29 (1995) auf jetzt 62 Sitze.

„Die SVP verführt mit ihrer Hetze immer mehr Menschen, das ist sehr beängstigend“, warnen Intellektuelle wie der Genfer Soziologe Jean Ziegler. Der Zürcher Politikwissenschaftler Michael Hermann analysiert: „Europaweit muss man von einer einmaligen Entwicklung sprechen, keine andere Rechtspartei hat bei Wahlen kontinuierlich so zulegt.“

Wie gelingt das der SVP? Immerhin ist sie an der Schweizer Regierung beteiligt, ein Vertreter sitzt im Bundesrat. Doch in der direkten Demokratie der Eidgenossen, einem System, in dem das Volk die großen Fragen der Politik entscheidet, gebärdet sich die SVP, als habe sie mit dem Kabinett nichts zu schaffen. Ist das der Trick, gleichzeitig dabei und Opposition zu sein?

Lesen Sie auf Seite 2 mehr über die Angstkampagne der SVP

„Eigentlich geht es den Schweizern noch gut, sie leben auf einer Wohlstandsinsel“, erklärt Michael Hermann. „Doch sie haben Angst, etwas zu verlieren, sie haben Angst, überrollt zu werden“, fügt er hinzu. Es ist ein Gefühl, das Eidgenossen auch im Zweiten Weltkrieg hätte befallen können, als sie von faschistischen Regierungen umzingelt waren. Doch diesmal beziehen sich die Ängste auf das eigene Land. Und sie werden von Blocher und seinen Parteikameraden immer wieder geschürt. Angst ist ihr Programm. Gleichzeitig gaukelt die SVP den Menschen vor, sie könne eine heile, gemütliche Schweiz bewahren. Die Schweiz der SVP ist aber ein Land, das es längst nicht mehr gibt.

Blocher redet sich in Fahrt. Er keilt gegen Europas Politiker. Bundeskanzlerin Angela Merkel, Altkanzler Helmut Kohl und Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy, sie sind von ihm nicht wohlgelitten. Wo dächten sie denn alle hin? Der Euro! Die Einheitswährung, so Blocher, sei einfach zu groß. „Warum bin ich für die kleinen Verhältnisse?“, fragt er, „das Große ist schwer zu überschauen.“ Es ist das Credo des früheren Großunternehmers, der also gelobt, nur die SVP garantiere die Unabhängigkeit der Schweiz, nur die SVP halte die Schweiz aus der EU heraus.

Dass aus anderen Schweizer Parteien der Wunsch eines EU-Beitritts kaum zu vernehmen ist, weiß Blocher zu begegnen. Die verfolgten einen „Geheimplan“, um „das Volk über ihre wahren Absichten hinters Licht zu führen und so die Integration in die marode EU zu vertuschen“. Heftiges Kopfschütteln an den Tischreihen, Gebrummel. Eine blonde Frau im Trachtenkostüm, Mitte vierzig, verzieht das Gesicht. Blocher legt noch einen drauf: Ein Bayer habe ihm, dem Schweizer, gesagt: „Ihr seid das letzte unabhängige Volk, bleibt ihr unabhängig.“ Lachen. Beifall. Jubel.

Blocher hat mit seiner Angstkampagne leichtes Spiel, seit sich das Schweizer Wirtschaftswachstum in den vergangenen Monaten weiter abschwächte, aktuell liegen Prognosen für 2011 bei 1,9 Prozent. Es macht sich die Erkenntnis breit: Wir können uns den Risiken der Globalisierung nicht entziehen. „Die Krisenstimmung ist auch bei uns angekommen“, warnt Urs Müller, Direktor des Wirtschaftsforschungsinstituts BAK Basel.

Dabei ließ der Höhenflug des Frankens die Schweizer zuvor fast verzweifeln. Zwischen August 2010 und August 2011 legte Helvetiens Währung über 30 Prozent an Wert gegenüber dem Euro zu. Das würgte die Konjunktur. Fast täglich mussten exportorientierte Firmen wie das Zürcher Verlagshaus Diogenes auf den Kurstabellen verfolgen, wie die Gewinne wegbrachen.

Die „dramatische Lage“ zwang die Schweizer Nationalbank, eine Wechselkursuntergrenze gegenüber dem Euro von 1,20 Franken festzulegen. Sie gilt bei Unternehmen als gerade noch erträglich.

Zum Indiz des langsamen Niedergangs ist die UBS geworden, die einstige Vorzeigebank der Vorzeigebranche. In der Finanzkrise musste der Staat das größte Schweizer Geldinstitut mit Milliardensummen retten, die UBS Tausende Mitarbeiter entlassen. Und dann erschütterte auch noch ein betrügerischer Händler das Zürcher Haus. Der Mann verspielte mehr als zwei Milliarden Franken.

Lesen Sie auf Seite 3, wie die SVP Überfremdungsängste schürt

Bedrohlicher als der Zocker dürfte sich für die UBS und die ganze Bankenbranche jedoch der schleichende Verlust des Schweizer Bankgeheimnisses erweisen; es stellt einen wichtigen Wettbewerbsvorteil dar. So verwalteten Helvetiens Geldhäuser 2010 noch Vermögen von 4453 Milliarden Franken, was etwa dem Zehnfachen des deutschen Steuervolumens entspricht. „Viele ausländische Kunden schafften ihr Schwarzgeld bedenkenlos zu uns, weil wir keine unangenehmen Fragen nach der Herkunft stellten“, erklärt ein Zürcher Banker. „diese Klientel dürfte sich bald andere Banken in anderen Ländern suchen.“

Zurück in die Turmatthalle. Blocher rudert wieder mit den Armen, wischt sich durchs Gesicht und rückt die Brille zurecht. Er kommt zu den Ausländern. Seine Stimme klingt schneidend, kalt. „Früher sind die Ausländer alle wieder weggegangen“, weiß er, „heute bleiben die alle hier.“ Empört verweist er auf die Ausländerstatistik. Im Jahr 2010, so belegen es Zahlen der Regierung, betrug der Anteil der Nichtschweizer im Land 22,4 Prozent. Damit hat die Schweiz eine der höchsten Ausländerquoten Europas. Woraus die SVP im Internet den Schluss zieht, dass die Immigranten die Schweizer Fahne abschaffen wollten.

Die Überfremdungsangst hat die Blocher-Partei in ein prägnantes Bild gefasst. Das Plakat prangt auch in den Straßen von Stans. Darauf treten dunkle Gestalten scharenweise auf die rote Flagge mit dem weißen Kreuz.

Eine besonders scharfe Kostprobe ihres Wahlkampfes liefert die SVP im Kanton Schwyz: Die Parlamentskandidatin Judith Uebersax ließ ein erfundenes Schreiben an die Haushalte verteilen, es vermittelte einen amtlichen Eindruck. In der „Verfügung zur Zwangseinquartierung“ wird angedroht, dass Haushalte ab einer bestimmten Größe Migranten aufnehmen müssten.

„Die Kampagnen der SVP haben eine ganz klar rassistische Komponente“, analysiert Gülcan Akkaya, Vizepräsidentin der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus und Dozentin an der Fachhochschule Luzern. „Ausländer werden kollektiv verunglimpft, alles, was von außen kommt, wird als Bedrohung vorgeführt.“

Die Kampagnen der SVP zeigen Wirkung. „Rassismus kann fast jeden überall treffen“, warnt die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus. Eine ältere Befragung der Kommission ergab, dass fremd aussehende Menschen fast überall Schikanen erdulden müssten. Scheele Blicke, extralange Wartezeiten in Gasthäusern, ständige Polizeikontrollen. Gülcan Akkaya von der Kommission, eine Schweizerin mit türkischen Vorfahren, sah sich selbst schon mit Vorurteilen konfrontiert. „Bei der Wohnungssuche wurde ich zweimal gefragt, ob ich mir das leisten kann.“

Auch viele deutsche Einwanderer müssen mit Anfeindungen und versteckten Bosheiten leben. Und wer es als Eidgenosse wagt, sich schützend vor Ausländer zu stellen, der muss mit Schmähungen rechnen. So wie Josef Bütler, Exbürgermeister von Spreitenbach – einer Stadt mit 11 000 Einwohnern, von denen die Hälfte keine gebürtigen Schweizer sind. Bütler hatte im TV versichert, der hohe Ausländeranteil sei eine „bereichernde Herausforderung“, es raubte ihm die Ruhe. Anonyme Anrufer beschimpften den Lokalpolitiker als „Schande für die Schweiz“, seine Kinder wurden bedroht. Bütler trat entnervt von seinem Bürgermeisteramt zurück.

In der Stanser Turmatthalle beendet Blocher seinen Auftritt, zufrieden stapft er von der Bühne. „Blocher ist der Vater der SVP, er hat einfach recht“, sagt ein Zuhörer und greift zum Apfelwein. Die Anhänger der Volkspartei widmen sich jetzt dem letzten Programmpunkt an diesem Abend: „Musikalische Unterhaltung mit gemütlichem Beisammensein.“

Jan Dirk Herbermann

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