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Politik: Parlamentswahlen in Weißrußland: Oppositionsführer Lebedko will anstehende Parlamentswahlen boykottieren - und rechnet sich gute Chancen aus, Staatspräsident Lukaschenko ablösen zu können

Weißrußland hat keine echte Wahl: Sieben Oppositionsparteien werden die für Ende Oktober angesetzten Parlamentswahlen boykottieren. Das hat ein "Kongress der demokratischen Kräfte" am vergangenen Sonntag in der Hauptstadt Minsk beschlossen.

Weißrußland hat keine echte Wahl: Sieben Oppositionsparteien werden die für Ende Oktober angesetzten Parlamentswahlen boykottieren. Das hat ein "Kongress der demokratischen Kräfte" am vergangenen Sonntag in der Hauptstadt Minsk beschlossen. Damit hat Anatoli Lebedko, seit April dieses Jahres Vorsitzender der größten Oppositionsformation "Vereinigte Bürgerpartei" (OGP), sein Ziel fast erreicht. Wenn es dem autoritären Präsidenten Alexander Lukaschenko nicht gelinge, die Opposition zu spalten, sei das schon ein großer Erfolg, sagte sein früherer Berater Lebedko im Gespräch mit dem Tagesspiegel. Denn die bevorstehenden Wahlen würden weder frei noch fair sein.

Seit Ende 1996 wird Lukaschenko als weißrussisches Staatsoberhaupt international nicht mehr anerkannt. Damals löste er das im Vorjahr gewählte Parlament auf und ersetzte es durch eine Versammlung seiner Gefolgsleute. Gleichzeitig ließ er in einer umstrittenen Volksabstimmung seine Amtszeit verlängern und die Verfassung ändern. Seitdem regiert Lukaschenko mit diktatorischen Vollmachten. Aus Protest trat der damalige Premierminister Michail Tschigir von seinem Amt zurück: Er wurde im Mai dieses Jahres wegen angeblicher Veruntreuung von Staatsgeldern zu drei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt.

Solche Repressalien müßten endlich aufhören, fordert Oppositionsführer Lebedko. Auch das Schicksal des Vize-Vorsitzenden des aufgelösten Parlaments, Viktor Gontschar, und des Ex-Innenministers Juri Sacharenko, die im vergangenen Herbst spurlos verschwanden, solle endlich aufgeklärt werden. "Lukaschenko verletzt die Verfassung, obwohl er sie selbst 1996 per Referendum durchgesetzt hat", wirft Lebedko ihm vor. Weder Versammlungs- noch Meinungsfreiheit würden respektiert. Doch der freie Zugang der Opposition zu den Massenmedien sowie ein Ende der Einschüchterungsversuche sind zwei der Bedingungen, von denen die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) die Entsendung internationaler Beobachter zu den Wahlen im Oktober abhängig macht.

Die Stellung Lukaschenkos werde jedoch nach und nach schwächer. Russland, die wichtigste internationale Stütze, sei seit dem Amtsantritt Wladimir Putins nicht länger bereit, durch die russisch-weißrussische Zollunion und unbezahlte Öl- und Gaslieferungen Lukaschenkos Regime mitzufinanzieren, mutmaßt Lebedko. Zudem verschlechtere sich die ökonomische Lage zusehends.

Für die Mitte 2001 anstehenden Präsidentschaftswahlen rechnet sich Lebedko daher gute Chancen aus. Lukaschenko falle bei Umfragen in der Wählergunst zurück - von 30 Prozent im April 1999 auf 15 Prozent in diesem Frühjahr. Zugleich wolle in der Hauptstadt ein Drittel der Wähler für einen Kandidaten der Opposition stimmen. In der Provinz gebe das zwar nur ein Sechstel offen zu, doch die Zahl heimlicher Sympathisanten liege viel höher, behauptet Lebedko. Deswegen müsse die Opposition unbedingt geschlossen auftreten und einen einzigen Herausforderer präsentieren. Beim aktuellen Kräfteverhältnis innerhalb der Opposition kann das nur er selbst sein.

Der 39-jährige Jurist, der vor drei Monaten den farblosen Ex-Nationalbankchef Stanislaw Bogdankjewitsch an der OGP-Spitze ablöste, wirkt als einziger weißrussischer Politiker so vital und energisch wie der 44-jährige Lukaschenko. Um den ehemaligen Kolchosen-Direktor von der Macht zu vertreiben, hat sich Lebedko eine raffinierte Kombination ausgedacht: Eine Wahl aussetzen, um die nächste zu gewinnen.

Oliver Heilwagen

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