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Parteitag der Liberalen: Rösler ruft FDP zum Kampf auf

Philipp Rösler wollte mit seiner ersten großen Parteitagsrede wieder richtig Leben in die müde, erschöpfte FDP bringen. Gezündet hat das nicht. Gezündet hat stattdessen ein Geist der Vergangenheit.

Von Antje Sirleschtov

Es ist jetzt gut ein halbes Jahr her, als Philipp Rösler die etwas blutige Geschichte erzählt hat, in der es um einen kleinen Frosch geht, der in einem Topf, gefüllt mit Wasser, sitzt, der auf einer Herdplatte steht. Wenn man nun das Wasser sehr schnell sehr heiß macht, dann springt der Frosch erschrocken raus. Wenn man allerdings das Froschbad nur sehr langsam erhitzt, erzählte Philipp Rösler, dann werde der Frosch gar nicht merken, wie er Stück für Stück gegart wird, und am Ende wird er sterben. Als Rösler diese Froschgeschichte in Rostock seinen Parteifreunden erzählte, war er gerade eine Stunde lang Vorsitzender der FDP, und seither hat es vielerlei Versuche gegeben zu ergründen, wen er wohl meinte, als er über den langsam sterbenden Frosch gesprochen hat.

Rostock und Frankfurt - das liegt weit auseinander. Viel weiter, als es bei einem flüchtigen Blick auf die Landkarte den Anschein hat. Rostock, das war Aufbruch, das war Jugend, Zukunft. In Rostock gab es noch Hoffnung, viel Hoffnung sogar.

Als sich die FDP zum letzten Mal zu einem Parteitag traf, in Rostock im Frühling, lag die Partei am Boden, entmutigt, entkräftet. Doch der neue junge Mann sah nicht nur viel freundlicher aus als Guido Westerwelle. Er sprach auch ganz anders als sein Vorgänger. So leise, überlegt. Ein kluger Mann. Die Liberalen wollten ihm zutrauen, was er versprach: Die FDP mit sich selbst zu versöhnen, sie vom Hohn und Spott der Menschen zu reinigen. Und dann waren da auch noch Wiebke und die Mädchen, Philipp Röslers Familie, in Rostock mit dabei. Wann hatte es das schon mal gegeben in dieser Partei der gefühlten Kühlschrankkälte. Rösler in Rostock, das war für die FDP eine Chance, aus dem dunklen Keller herauszufinden. Viele glaubten daran.

Von Rostock nach Frankfurt am Main, wo sich die Partei Röslers an diesem Wochenende nun erneut zum Parteitag trifft, sind es 500 Kilometer Luftlinie. In Zeiten von Flugzeug und Bahn eigentlich keine Entfernung. Doch für Philipp Rösler wurde der Weg zu einem sehr langen Spießrutenlauf.

Weil er seiner FDP zu einer Steuersenkung verhelfen wollte, wurde er von der Union erst hingehalten und dann sogar verspottet. Weil er für Griechenland eine geordnete Insolvenz forderte, warf man ihm sogar europafeindlichen Populismus vor. Rösler hat sich mit Außenminister Westerwelle öffentlich angelegt und nach einer Woche blamiert den Kürzeren gezogen. Rösler hat in der Parteizentrale in Berlin vor den Kameras gestanden, als die Partei im September in der Hauptstadt mit schmachvollen 1,8 Prozent aus dem Abgeordnetenhaus geworfen wurde. Wie schlimm es werden könnte als Vorsitzender der FDP, das hatte Rösler bei seinem Amtsantritt im Frühjahr nur geahnt.

Doch nun ist Herbst und der Hoffnungsträger von Rostock steht mit ernstem Gesicht hinter seinem gelben Plastikpult in der Frankfurter Messe und seufzt: Häme und Schadenfreude habe man über ihm ausgeschüttet, sagt er. „Das zu erleben, das kann ich Ihnen auch ganz persönlich sagen, das ist schwer“. Es ist das Eingeständnis eines Parteichefs, der unter Druck steht, der sein Schrittmaß nicht gefunden hat nach sechs Monaten.

Die Stimmung an der Parteibasis ist seit Röslers Antritt nicht besser geworden. Eher schlimmer. Denn in Rostock war noch Hoffnung. Jetzt glaubt kaum noch einer, dass Rösler die Wende schaffen kann. „Es kann nicht so weitergehen“, sagt der Vorsitzende über seine ersten sechs Monate selbst. Und er bitte die Seinen, ihre Tränen zu trocknen, die „Taschentücher wegzustecken“, zusammen- zustehen und nach vorn zu blicken. „Jetzt erst recht“.

Doch wo ist vorn für die FDP, mit welchen Botschaften sollen nicht nur die eigenen Leute motiviert, sondern vor allem Wähler davon überzeugt werden, dass man die Liberalen in Zukunft überhaupt noch braucht. Fraktionschef Rainer Brüderle hat den Parteitagsdelegierten in Frankfurt blaue Brotbüchsen auf die Tische gestellt. „Brot & Butter“ steht auf den Plastikschachteln. Es soll eine Geste sein, die Mut macht. Doch außer ein paar bunten Blättern liegt nichts drin.

Es war Ende August, da hatte Philipp Rösler schon einmal das Gefühl, man erwarte, dass er seinen Liberalen eine Richtung vorgibt. Seine Richtung. In wenigen Wochen wolle er programmatische Thesen vorlegen, kündigte der Vorsitzende an. Doch geliefert hat Rösler außer ein paar dünnen Überschriften nichts. Man wolle sich um Leistungsträger der Gesellschaft kümmern, um Ingenieure und Familien, sagte Rösler Ende September. Das war kurz nach dem Absturz in Berlin. Röslers FDP stand der Sinn ganz und gar nicht nach Aufbruch.

Vor dem Parteitag in Frankfurt hat Rösler seine Messlatte wieder nach oben geschoben. In seiner Rede werde er den Weg aus dem Dilemma weisen, hat er den Bundestagsabgeordneten vor ein paar Tagen erzählt und sie auf eine „Überraschung“ vorbereitet. Und in einem Zeitungsinterview dann auch noch die Vorlage des Programms einer „markanten“ FDP avisiert. Und wirklich: Rösler sprach in Frankfurt seinen Parteifreunden zunächst auch aus dem Herzen, als er analysierte, dass spätestens seit der Mindestlohnwende auch des Koalitionspartners CDU „alle Parteien eine dramatische Linkskurve“ ziehen. Nur die FDP erweise sich noch als Verteidiger von Freiheit und sozialer Marktwirtschaft. „Wenigstens eine Partei wendet sich gegen den Zeitgeist.“ So etwas streichelt die liberale Seele, das baut die FDP auf. Da weiß man doch gleich wieder, wozu es überhaupt noch lohnt, in der FDP Mitgliedsbeiträge zu zahlen.

Doch so einfach ist es nicht mehr. Es gibt mittlerweile kaum noch zwei FDP-Mitglieder, die unter Marktwirtschaft und Freiheit dasselbe verstehen. In Schleswig-Holstein wollen sie Kommissionen gründen, die branchenspezifische Mindestlöhne aushandeln. Der FDP-Arbeitsminister Heiner Garg hat schon angekündigt, diese Mindestlöhne dann für allgemeinverbindlich zu erklären. Auch in Baden-Württemberg sehen junge Liberale längst, dass die dogmatische Ablehnung von Mindestlöhnen der FDP nicht als klarer Kurs zugestanden, sondern als Realitätsverweigerung ausgelegt wird. Die Partei bräuchte also dringend eine offene Debatte über das Thema.

Doch Rösler scheut sie auch in Frankfurt, will seine Partei rechtzeitig vor dem CDU-Parteitag am Montag von deren Kurs abgrenzen. „Mit uns gibt es keinen flächendeckenden allgemeinen Mindestlohn“, ruft er den verhalten applaudierenden Parteifreunden zu. Das klingt erst einmal sehr liberal. Und ganz anders als bei Sozialdemokraten oder bei den Freunden von der CDU. „Wir werden niemals umfallen“, sagt der Mann, der noch vor einem guten Jahr als Gesundheitsminister den Mindestlohn in der Pflegebranche eingeführt und verteidigt hat.

Und Europa, die Finanzmärkte? Das ist das Thema der Zukunft, vor allem für eine Partei, die seit Jahrzehnten etwas auf ihre wirtschaftspolitische Kompetenz hält. Und gerade jetzt, wo der Mitgliederentscheid von Frank Schäffler über europäische Rettungsfonds die FDP zu zerreißen droht. Schon werden Eurogegner offen aufgefordert, rasch noch in die FDP einzutreten, um bis 13. Dezember ihre Stimme gegen die Rettungsschirme abzugeben. Die FDP als wehrlose Hülle deutscher Wirtschaftsnationaler? Philipp Rösler hat diese Gefahr wohl erkannt. Die Menschen, analysiert der FDP-Vorsitzende, hätten Angst, dass die soziale Marktwirtschaft keine Antworten mehr geben könne auf die Herausforderungen der Gegenwart.

Sie fürchten, dass sich Banker, Hedgefonds und Milliardäre längst abgekoppelt haben von der realen Wirtschaft. Und der Staat nur immer zahlen muss. Wieder Ordnung auf den Finanzmärkten zu schaffen, sie im Sinne der sozialen Marktwirtschaft zu regulieren, das sagt Rösler, „das ist die Aufgabe der FDP“. Einer „proeuropäischen“ FDP . Und wie? Das sagt Rösler nicht. Wieder nicht. Man wird an diesem Samstag ziemlich viele lange Delegiertengesichter sehen. Man hätte dazu gern mehr gehört vom Parteivorsitzenden. Oder vielleicht auch nur darüber, wie Röslers Traum vom „auf die Menschen zugehen und ihre ganz praktischen Probleme lösen“ im realen Leben funktionieren soll. Mindestlohn oder nicht, Steuersenkungen oder angesichts der hohen Staatsschulden eher nicht.

„Unser Problem“, sagt ein sehr junger Redner später, „unser Problem ist, dass wir nicht wirklich wissen, wo es mit uns hingehen soll.“

Oder vielleicht gibt es da doch noch einen? Einen, der den Liberalen zumindest das Gefühl vermitteln kann, dass er weiß, wo es lang geht. Am Nachmittag betritt in Frankfurt urplötzlich ein etwas grau gewordener Herr mit markanter schwarzer Brille das Podium. Man hatte ihm einen Platz ganz an der Seite zugewiesen, er sitzt noch weiter vom Zentrum des Parteitages entfernt als Altaußenminister Klaus Kinkel. Nur ganze fünf Minuten spricht der Mann über Europa, über die „verdammte Pflicht der FDP“ zur Rettung des gemeinsamen Kontinents, den Aufbau einer Stabilitätsunion. Und mit Blick auf den Mitgliederentscheid auch darüber, dass er „nicht zulassen wird, dass irgendjemand diese Partei für seine Spielchen ausnutzen will“.

Es sind markige Worte, deutlich und laut in den Saal gerufen. Der Redner hebt die Arme und wippt auf und ab. Begleitet von minutenlangem Applaus und begeisterten Pfiffen aus allen Ecken des großen Saales. Es ist die Rede von Guido Westerwelle.

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