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Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann mahnte vergeblich.

© AFP

Parteitag in Münster: Grüne stimmen für Vermögensteuer - gegen den Willen von Kretschmann

Der Parteitag der Grünen stimmt für die Einführung einer Vermögensteuer – trotz aller Mahnungen ihres Aushängeschilds Kretschmann.

Winfried Kretschmann könnte auf die Pauke hauen, aber an diesem Vormittag wirbt er um Verständnis. Beim Grünen-Parteitag in Münster erklärt der baden-württembergische Ministerpräsident den Delegierten, warum er die Vermögensteuer ablehnt. „Ihr müsst einfach verstehen, dass ich mit aller Macht darum kämpfe, dass die Mittelständler nicht in die Schieflage kommen“, sagt Kretschmann.

Als Ministerpräsident habe er „eine Verantwortung dafür“, dass es den vielen tausend Betrieben in seinem Bundesland gut gehe.

Vermutlich hat Kretschmann da schon eine Ahnung, dass die Mehrheit der Delegierten sich wenige Stunden später für die Einführung einer Vermögensteuer aussprechen wird. Eigentlich hatte die Parteiführung den Streit vermeiden wollen. Auch, weil viele Grüne die Auseinandersetzungen über die Steuerpolitik aus dem Wahlkampf 2013 noch in schlechter Erinnerung haben.

Doch eine Kommission unter Leitung von Parteichefin Simone Peter konnte in zwei Jahren keine Einigung erzielen. Und auch im Vorfeld des Parteitags gelang es dem Bundesvorstand nicht, einen Kompromiss vorzulegen.

Streit sei "gute Tradition"

Für den linken Flügel ist das Ja zur Vermögensteuer von hoher symbolischer Bedeutung. Nordrhein-Westfalens Landeschef Sven Lehmann sieht darin auch einen möglichen Beitrag, um den Zulauf zu rechtspopulistischen Parteien zu stoppen. Jürgen Trittin, Ex-Spitzenkandidat der Grünen, bestreitet außerdem die These, eine Vermögensteuer gefährde den Mittelstand. Er ist überzeugt: „Ein Land, in dem Raucher doppelt so viel zum Steueraufkommen beitragen wie Vermögende, ein solches Land ist nicht gerecht.“

Aber auch etliche Grünen-Politiker vom Realo-Flügel wollen den Dauerkonflikt beilegen und tragen die Forderung nach der Vermögensteuer deshalb mit. Es sei „fair, Superreiche zu beteiligen“, sagt Nordrhein-Westfalens Vizeministerpräsidentin Sylvia Löhrmann. Sie verweist zugleich auf die angespannte Haushaltslage vieler Bundesländer: „Wir brauchen verlässliche Einnahmen.“

Am Morgen sind die Fronten im Steuerstreit noch so verhärtet, dass die 850 Delegierten die Wahl haben zwischen fünf Varianten zum Thema Vermögensteuer – von der Ablehnung dieses Instruments bis zur Forderung nach einer schnellen Einführung, inklusive konkreter Steuersätze.

Dass auf einem Parteitag gestritten werde, sei „gute Tradition“, versichert Bundesgeschäftsführer Michael Kellner. Er habe lieber „eine Entscheidung als einen schwammigen Kompromiss, bei dem jeder nachher sagen kann, was aus seiner Sicht gemeint ist“.

Viele hoffen jetzt auf wieder mehr Ruhe in der Partei

Kretschmann gibt sich auch nach der Abstimmung versöhnlich. Die Partei habe sich zwar für die Vermögensteuer ausgesprochen, aber eben auch dafür, dass diese verfassungsfest sein müsse und die Innovationskraft der Unternehmen nicht einschränken dürfe.

„Ein klassischer Kompromiss“, findet der Ministerpräsident. Er zeigt sich zugleich skeptisch, dass man ein solches Modell wirklich hinbekommen könne. „Daran wird sich die Bundespartei versuchen müssen“, sagt er.

Und nach Ansicht von Parteichef Parteichef Cem Özdemir bewegen sich die grünen mit ihrer Forderung nach einer Vermögensteuer nicht in Richtung einer Koalition mit SPD und Linken. „Das halte ich für Quatsch“, sagte er.

Beim Ehegattensplitting rücken die Delegierten von der Forderung aus dem letzten Wahlprogramm ab, den Steuervorteil für alle Ehen abzuschmelzen. Stattdessen soll das Splitting nur noch für neue Ehen abgeschafft werden.

Neues in Sachen Ehegattensplitting

Offenbar verfängt bei vielen der Appell von Fraktionsgeschäftsführerin Britta Hasselmann, die deutlich macht, dass die sofortige Abschaffung eine nachträgliche steuerliche Schlechterstellung für alle wäre, die sich vor 20 oder 30 Jahren auf ein anderes Lebensmodell eingelassen hätten: „Lasst uns die Augen doch nicht davor verschließen, dass im letzten Wahlkampf niemand mit uns mitgezogen ist, bis weit in die grünen Milieus hinein.“

Viele Spitzengrüne hoffen, dass die Klärungen in der Steuerpolitik auch wieder mehr Ruhe in die Partei bringen. Zum zentralen Wahlkampfthema für 2017 wollen die Grünen die Steuern ohnehin nicht machen, dafür wirbt auch Kretschmann. Viel wichtiger sei die Frage, wie der Rechtspopulismus in Europa („ein hochansteckender und gefährlicher Virus“) bekämpft werden könne.

Seine Rede nutzt er für einen grundsätzlichen Appell an die Partei. Die Grünen hätten viele Freiheiten erkämpft, sie müssten sich aber auch die Frage stellen, „ob wir auch immer alle mitgenommen haben auf diesem Weg“. Probleme müsse man klar benennen, fordert Kretschmann. „Wir dürfen es mit der Political Correctness nicht übertreiben.“ Der Applaus bei solchen Worten ist zwar nicht euphorisch, aber der Saal hört aufmerksam zu.

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