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Anja Piel (l-r), Annalena Baerbock und Schleswig-Holsteins Umweltminister Robert Habeck bewerben sich um den Bundesvorsitz der Grünen.

© dpa

Parteivorsitz der Grünen: Gefangen in der Flügellogik

Das Ringen um den Parteivorsitz der Grünen zwischen Annalena Baerbock und Anja Piel ist auch eine Auseinandersetzung zwischen den Realos und dem linken Flügel.

Angriffslustig und leidenschaftlich tritt die eine auf, als vermittelnd und krisenerfahren präsentiert sich die andere. Wenn die Grünen am Samstag ihre neuen Parteivorsitzenden wählen, treten im ersten Wahlgang zwei Frauen gegeneinander an: Annalena Baerbock, 37 Jahre alt, Bundestagsabgeordnete aus Brandenburg, und Anja Piel, 52 Jahre alt, Fraktionschefin in Niedersachsen. Das Rennen gilt als offen, eine ganz klare Favoritin gibt es nicht.

Nach dem Rückzug von Cem Özdemir und Simone Peter stehen die Grünen vor einem personellen Neuanfang. Am Wochenende entscheiden die gut 800 Delegierten auf dem Parteitag in Hannover, wer die Partei in den nächsten Jahren führen wird. Für die Doppelspitze gibt es bisher drei Bewerbungen: Neben den beiden Frauen bewirbt sich der schleswig-holsteinische Umweltminister Robert Habeck als Parteichef.

Baerbock war im Dezember mit ihrer Bewerbung vorgeprescht. Bei den Grünen dürfe nicht der Eindruck entstehen, es drehe sich nur um die Männer, und wenn die sich entschieden hätten, käme die Frau an Mr. X Seite, sagte sie. Mit dieser selbstbewussten Ansage sammelte sie in der Partei viele Pluspunkte. Baerbock könnte außerdem davon profitieren, dass sie anders als ihre Konkurrentin aus Niedersachsen den Neuaufbruch verkörpert, nach dem sich viele in der Partei sehnen.

Die Klimapolitikerin ist jung, eloquent und scheut auch Auseinandersetzungen nicht, wie sie in den letzten Jahren etwa im parteiinternen Streit um den richtigen Plan für den Kohleausstieg bewiesen hat. Baerbock gehörte außerdem der 14-köpfigen Sondierungsgruppe an, die mit Union und FDP über eine Jamaika-Koalition verhandelte. Ihren engagierten Auftritt beim letzten Parteitag haben viele noch in Erinnerung. Manche bei den Grünen schätzen deshalb ihre Chancen, Parteichefin zu werden, etwas höher ein.

Wenn da nicht die Flügelfrage wäre. Bisher war es bei den Grünen üblich, dass ein Posten in der Doppelspitze von den Realos besetzt wird und einer vom linken Flügel. Sollten Habeck und Baerbock als Vorsitzende gewählt werden, stünden künftig zwei Vertreter der Realos an der Spitze. Habeck betont zwar gerne, dass er nicht allzu viel vom Flügelproporz hält und sich als Kandidat für die gesamte Partei versteht. Ähnlich formuliert es auch Baerbock. Doch einige im linken Flügel beäugen dieses Versprechen mit Misstrauen. Und andere fänden es ohnehin aus prinzipiellen Erwägungen besser, wenn die Breite der Partei sich auch an der Spitze widerspiegelt. Schon die Tatsache, dass mit Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckardt zwei Realos in der Urwahl von der Basis zu Spitzenkandidaten gewählt wurden, hatte in Teilen des linken Flügels zu Frust geführt.

Anja Piel setzt auf erkennbare linke Akzente

Davon wiederum könnte Anja Piel profitieren. Die linke Flügelfrau setzt in ihrer Bewerbung auf erkennbare linke Akzente. „Wir müssen uns trauen, wieder über Umverteilung zu sprechen“, sagte sie neulich in einem Interview mit der „taz“. Dies sei angesichts der drohenden Spaltung der Gesellschaft notwendig. Piel will nicht nur auf die Ökofrage setzen, sondern wieder stärker aufs Soziale. Damit dürfte sie manch einem in der Partei aus dem Herzen sprechen. Am linken Flügel leiden einige immer noch daran, dass seit dem enttäuschenden Ergebnis bei der Bundestagswahl 2013 das Thema Steuerpolitik verpönt ist.

Piel wirbt außerdem mit ihrer Regierungserfahrung. In den rot-grünen Jahren in Niedersachsen zwischen 2013 und 2017 musste sie als Fraktionschefin der Grünen den Laden zusammenhalten. Keine einfache Aufgabe angesichts der knappen Ein-Stimmen-Mehrheit. „Man sagt mir nach, ich wirke integrativ“, sagt Piel über sich selbst. Sie habe sich mit den Jahren einen Blick dafür erworben, wo man die Grünen mitnehmen könne – und wo nicht. Aus ihrer Zeit als Fraktionschefin, aber auch als frühere Landesvorsitzende bringt Piel ein gutes Netzwerk in die Partei und zu ihren Länderkollegen mit.

Aber auch Baerbock hat Unterstützer im linken Flügel. Gerade bei den Jüngeren gibt es den Wunsch nach einem Generationswechsel. „Unsere guten Kandidatinnen haben alle abgesagt“, sagt einer. „Warum sollten wir dann nicht eine progressive Frau vom anderen Flügel wählen?“ Hinzu kommt: Baerbock war vor dem Einzug in den Bundestag Sprecherin der Grünen-Bundesarbeitsgemeinschaft Europa, seit vier Jahren sorgt sie in der Antragskommission dafür, dass Parteitage vernünftig ablaufen können. Solch ein Engagement für die Partei dürfte bei den Delegierten gut ankommen.

Wer sich bei der Wahl durchsetzt, werde nicht zuletzt von den Parteitagsauftritten am Samstag abhängen, heißt es bei den Grünen. Zehn Minuten hat jede Kandidatin Zeit, um zu skizzieren, wohin sie die Partei führen will. Aber vielleicht kommt am Ende ohnehin alles ganz anders. Dann nämlich, wenn der Parteitag Habeck die Satzungsänderung verwehrt, die ihm eine Übergangszeit ermöglicht, in der er zugleich Umweltminister in Kiel und Parteichef sein kann. Sollte er seine Kandidatur zurückziehen, wären Baerbock und Piel womöglich nicht mehr Konkurrentinnen – sondern die neue weibliche Doppelspitze der Grünen.

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