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Politik: Pathos der Tat

Auf dem CDU-Programmkongress profitiert die Parteichefin Merkel vom Kanzlerinnenbonus – und entzieht sich so der Kritik

Von Robert Birnbaum

Es gibt so Tage, an denen man als CDU- Politiker vermutlich noch glücklicher ist als üblich, dass man kein SPD-Politiker ist. Am Dienstag ist es bei Roland Koch mal wieder so weit. „Wir machen keinen Scheiß in der CDU, wir machen eine ordentliche und saubere Politik“, konstatiert der Hessen-Chef. Die gut 1000 Parteifreunde in der Hanauer Kongresshalle applaudieren und kichern schadenfroh. Natürlich haben sie alle am Morgen in der Zeitung vom Zornausbruch des SPD- Chefs Kurt Beck im SPD-Parteirat gelesen, diesen Satz an seine internen Kritiker, dass er sich „den Scheiß“ nicht mehr bieten lasse. Angela Merkel hat das natürlich auch gelesen. Sie sagt natürlich aber nichts dazu. Sie hat das nicht nötig. Die Bundeskanzlerin Merkel verleiht beim zweiten CDU-Grundsatzprogrammkongress der Parteichefin Merkel so viel Glanz, dass der Kontrast zum Elend der SPD und ihres Chefs ganz von selbst augenfällig wird.

Das heißt nicht, dass die zur Diskussion angereiste christdemokratische Basis mit dem Programmentwurf komplett zufrieden ist, um den es bei der Hanauer Veranstaltung ja eigentlich geht. Das Durchschnittsalter im Saal liegt schätzungsweise bei 62 Jahren; allein das garantiert dafür, dass ein anderer Liebhaber starker „Sch“-Worte in diesem Kreis auf einige Zustimmung rechnen darf: Der frühere Planungschef der CDU zu Heiner Geißlers Zeiten, Wulf Schönbohm nämlich, der neulich seiner eigenen Partei im Zorn zugerufen hat, sie schwimme programmatisch und praktisch nur noch in „scheißliberaler Mitte-Soße“.

Aber Schönbohm ist Pensionär, Generalsekretär Ronald Pofalla fasst den Programmentwurf unter der menschenfreundlichen Kurzüberschrift „Frei und sicher leben in der Chancengesellschaft“ zusammen, und Roland Koch sagt, dass dies ein „guter Entwurf“ sei. Der Hesse merkt zwar auch an, Parteien lebten von klarer Positionierung und „nicht davon, Kompromisse ins Programm zu schreiben“. Der Satz könnte unter anderen Umständen ganz gut als interne Kritik gedeutet werden. Aber nach der lobenden Einleitung verliert Hessens Ministerpräsident jedwedes kritische Potenzial. Koch muss schließlich in einem halben Jahr eine Landtagswahl gewinnen und hat ein sehr eigenes Interesse daran, die CDU ganz generell als starke Kraft zu präsentieren.

Merkel hat nicht mal das nötig. Sie geht mit keinem Wort auf jene Positionskämpfe in den eigenen Reihen ein, die unter dem Stichwort „Wo bleibt das Konservative?“ seit einiger Zeit vor sich hin wabern. Ihr Beitrag zur Programmdebatte besteht in einer Art Pathos der Tat: „Bewahrung der Schöpfung“ ist ein christlich-konservativ-christdemokratisches Ziel, die Kanzlerin Merkel kümmert sich um Klimaschutz und den Umgang mit begrenzten Energieressourcen – also ruht die Kanzlerin in ihrer praktischen Politik programmatisch tief in der Partei. Dieses Argumentationsmuster wiederholt sie an mehreren Punkten – bis hin zur Außenpolitik, in der es darum gehe, dem christlich-christdemokratischen Menschenbild in aller Welt zur Geltung zu verhelfen. „Wer selber nicht weiß, was er will, kann woanders nicht für sich werben“, sagt Merkel. Sie muss gar nicht dazusagen, dass sie gerade in China war und für ihre deutlichen Worte dort sogar von den Grünen gelobt worden ist. Das versteht das Publikum in der Hanauer Kongresshalle ohnedies.

Deutlich gedämpfter fällt der Beifall nur bei einem Thema aus: Als Merkel die Kinderkrippen-Politik ihrer Familienministerin Ursula von der Leyen mit dem Hinweis auf „Wahlfreiheit“ verteidigt. Später in einem der Diskussionsforen werden die Fragesteller deutlicher. Es werde ja in der CDU jetzt so viel von der Kleinkinderbetreuung in Krippen oder durch Tagesmütter geredet, ätzt ein älteres Parteimitglied. „Überraschenderweise gibt es ja noch eine dritte Art der Betreuung, nämlich durch die eigene Mutter“ – und macht sich für ein Betreuungsgeld für Daheimerziehende stark. Und eine jüngere Frau beschwert sich, durch die laufende Diskussion fühle man sich ja allmählich „gleichsam verpflichtet“, die eigenen Kinder außer Haus zu geben. Allerdings gibt es in dem Forum auch andere Stimmen. Außerdem aber sitzt auf dem Podium Dieter Althaus. Der lässt die Kritiker auf seine Art ins Leere laufen. Das Betreuungsgeld, sagt der thüringische Ministerpräsident, sei gar keine bayerische Idee – die stamme von ihm.

Bleibt nachzutragen, dass Merkel doch noch auf Kurt Beck und die Sozialdemokraten eingeht, allerdings nur sehr indirekt. Die CDU-Chefin setzt in Hanau fort, was die Regierungschefin bei der Regierungsklausur auf Schloss Meseberg im August angefangen hat – die Kaperung sozialdemokratischen Wort- und Gedankenguts. Diesmal muss der Amtsvorgänger im Kanzleramt, Ludwig Erhard, herhalten als Kronzeuge für die neue Tonlage der einstigen Reform-Predigerin: „Aus der Tradition von ‚Wohlstand für alle‘ heißt es heute‚ Teilhabe für alle‘“, sagt Merkel. „Wir wollen niemanden zurücklassen.“ Auch dafür bekommt sie Applaus.

Es gibt so Tage, an denen man auch als CDU-Chefin vermutlich noch glücklicher ist als sonst, gerade nicht SPD-Chef zu sein.

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