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Gregorius III., Patriarch von Antiochia.

© Vincent Mosch

Patriarch von Antiochia: "Für Europa ist nur Assad der Bösewicht"

Das Oberhaupt der griechisch-melkitischen Katholiken, der christlichen Minderheit in Syrien, nimmt das Assad-Regime in Schutz. Für ihn sitzen die Verantwortlichen in dem Konflikt in den Reihen der Aufständischen - und im westlichen Ausland.

Ein Teil der syrischen Bevölkerung steht nach wie vor hinter Präsident Baschar al Assad, darunter die religiösen Minderheiten. Syrien ist ein Bevölkerungsmosaik, 75 Prozent sind Sunniten, die Regierung stellt seit den 70er Jahren aber die schiitische Minderheit der Aleviten (etwa elf bis 15 Prozent). Andere religiöse Minderheiten wie Christen (rund zehn Prozent) und Druzen (rund drei Prozent) waren gut geschützt, sie stehen daher größtenteils bis heute zu Assad. Sie fürchten, ein Umsturz und eine Machtübernahme durch die Mehrheit der Sunniten könnte lebensbedrohlich für die religiösen Minderheiten werden – die Christenverfolgung während des Bürgerkriegs im Irak ist ihnen warnendes Beispiel.

Eure Seligkeit, die UN machen das syrische Regime für einen Großteil der Gewalt verantwortlich. Sie sehen die Lage etwas anders.
Die Lage ist inzwischen völlig unübersichtlich. Anfangs stand auf der einen Seite die Opposition, auf der anderen die Regierung. Und die Armee, da bin ich mir ganz sicher, hatte den Befehl, sich nur zu verteidigen, nicht anzugreifen. Aber vor einiger Zeit sind noch weitere Kräfte aktiv geworden.

Welche „Kräfte“ sind das?

Wer konkret dahintersteckt, weiß ich nicht. Aber es sind wohl zumeist Kriminelle, die das Chaos für ihre Zwecke ausnutzen. Es gibt Überfälle, Entführungen und Plünderungen. Viele Christen haben deshalb Angst.

Sie fühlen sich bedroht?

Weniger als Christen, vielmehr als Bürger. Die Menschen wissen einfach nicht, wie es weitergehen soll. Sie fragen sich jeden Tag: Wie komme ich zur Arbeit, kann ich meine Kinder zur Schule schicken? Wo bekomme ich etwas zum Essen?

Das klingt, als sei das öffentliche Leben in Syrien zusammengebrochen.

Nein, das ist nicht der Fall. Hier in Europa glauben zwar alle, es handele sich um einen Konflikt, der das ganze Land erfasst hat. Doch dieser Eindruck trügt. Chaos gibt es nur in bestimmten Gegenden und zu bestimmten Zeiten. Mal brennt es hier, mal dort. Aber im Großen und Ganzen ist die Lage ruhig und stabil.

Von Homs kann man das wohl kaum behaupten. Dort sterben offenkundig jeden Tag viele Menschen durch die Angriffe der Assad-Truppen.

Ja, in Homs und Umgebung gibt es tatsächlich große Probleme. Haben Sie sich eigentlich schon mal angeschaut, wo es im Land überall brennt? Interessanterweise befinden sich die Unruheherde oft in grenznahen Gebieten, etwa zur Türkei oder dem Libanon.

Sie meinen, der Konflikt wird von außen geschürt?

Es ist auf jeden Fall sehr viel Manipulation im Spiel.

Das klingt danach, als wollten Sie Staatschef Assad entlasten?

Mich stört Europas einseitige Wahrnehmung. Stets wird ausschließlich Assad als blutrünstiger Bösewicht dargestellt. Man glaubt offenbar, seine Gegner seien mehr oder weniger brave Engel.

Mit Verlaub, der syrische Alleinherrscher lässt auf sein Volk schießen. Selbst die Vereinten Nationen und Menschenrechtsorganisationen fordern von Assad, die Kämpfe einzustellen.

Sie sollten den Berichten und Bildern nicht ohne Weiteres trauen. Manipulationen sind an der Tagesordnung. Mir haben zum Beispiel Offiziere glaubhaft versichert, es gäbe keinen Schießbefehl von Assad. Dennoch steht für die internationale Presse fest, dass der Staatschef der alleinige Übeltäter ist. Die Opposition dagegen scheint über jeden schlimmen Verdacht erhaben.

Von wem geht Ihrer Meinung nach die Gewalt aus?

Überwiegend von den Demonstranten.

Assad reagiert also nur?

In den meisten Fällen. Ich glaube, dass die Armee zumeist so scharf reagiert, weil sie zuvor provoziert wurde. Dahinter steckt womöglich sogar eine Strategie. Es soll immer mehr Blut fließen, um die Situation weiter anzuheizen.

Mal angenommen, Assads Herrschaft ist nicht das Kernproblem. Wie kann der Konflikt denn dann entschärft werden?

Zunächst wäre es ganz wichtig, dass keine Waffen mehr an die beiden Kontrahenten geliefert werden. Europa sollte nach sinnvollen Lösungsmöglichkeiten suchen. Dazu gehört auch, nicht einfach nur zu rufen: „Assad muss weg!“ Ich kenne den Mann ein wenig und halte es keinesfalls für ausgeschlossen, dass er zu Reformen fähig ist. Deshalb bin ich derzeit auf Reisen.

"Wir Christen setzen auf den Dialog."

Sanktionen, um das Regime zum Einlenken zu zwingen, halten Sie für falsch?

Es gibt schon genug Sanktionen. Sie führen dazu, dass sich die Fronten weiter verhärten.

Lassen wir mal die Schuldfrage außen vor. Tatsache bleibt, dass Syrien offenkundig mitten in einem verheerenden Bürgerkrieg steckt. Wie konnte es dazu kommen?

Da gibt es einige Faktoren. Zum Beispiel regiert die Baath-Partei das Land seit Jahrzehnten allein. Das ist an sich schon gefährlich. Was die Sache noch heikler macht: Mit der Baath-Partei steht die Minderheit der schiitischen Aleviten an der Spitze des Staates. Die große Mehrheit der Sunniten bleibt beim Regieren außen vor. Dann kam der „Arabische Frühling“ in Tunesien, Ägypten und anderswo verschärfend dazu. Diese Aufstände wirkten wie ein Katalysator für die in Syrien ohnehin schon lange existierenden Feindschaften. Die Sunniten glaubten, diese einmalige historische Chance für sich nutzen zu müssen.

Sie wollen vermitteln?

Wir sind vorsichtig in unseren Äußerungen. Wie die anderen Menschen auch wollen die Christen vor allem, dass sich die Lage beruhigt. Wir sind nach allen Seiten offen.

Läuft man mit einer derartigen Haltung nicht Gefahr, zum Assad-Parteigänger erklärt zu werden?

Ich muss für das Wohl meiner Gemeinden sorgen. Deshalb setzen wir Christen auf den Dialog, um die Kämpfe zu beenden.

Und wenn das nicht gelingt?

Radikalislamische Kräfte könnten die Oberhand gewinnen. Das hätte zwar kaum Folgen für uns Christen in der arabischen Welt. Wir kommen seit Jahrhunderten gut mit dem Islam und den Muslimen aus. Aber Europa wird den Wandel zu spüren bekommen. Hier sind die Probleme mit dem Islam doch viel größer. Denken Sie nur an die Sarrazin-Debatte oder jüngst die Aufregung um eine neue Integrations-Studie.

Fürchten Sie nicht, dass aus einigen arabischen Ländern islamische Gottesstaaten werden könnten?

„Gottesstaat? “ Das klingt mir doch allzu sehr nach Propaganda.

Das Gespräch führte Christian Böhme.

Gregorios III. ist seit 2000 Patriarch von Antiochia und damit höchster Vertreter von schätzungsweise 1,7 Millionen griechisch-melkitischen Katholiken. Sein Amtssitz ist Damaskus. 1933 geboren, gilt er als höchster katholischer Würdenträger im Nahen und Mittleren Osten. Gregorios III. wurde in Rom ausgebildet, 1959 zum Priester und 1981 zum Bischof geweiht. Die Melkiten (aramäisch für „kaiserlich“), die sich als direkte spirituelle Erben der ersten Christengemeinden von Jerusalem und Galiläa verstehen, feiern ihre Gottesdienste nach byzantinischem Ritus. Dennoch erkennen sie den Papst in Rom als Oberhaupt der Weltkirche an. Die Gläubigen leben überwiegend in Syrien, Libanon, Israel, Ägypten, Jordanien, den USA und Europa.

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