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Politik: Patrioten singen nicht

Von Robert Birnbaum

Das Wort hat schon größere Statur gehabt, die Sache auch. Süß und ehrenvoll sei es, dichtete der Römer Horaz, fürs Vaterland zu sterben. Das sehen wir heute erheblich nüchterner. Schon dieser Prähistorie wegen ragt der Ruf nach mehr Patriotismus, mehr Liebe zum Vaterland etwas altbacken in unsere Zeit. Selbst in den Unionsparteien, die ihn wieder entdeckt haben, klingt nicht jeder überzeugt von solch neuem Anlauf zur geistigmoralischen Wende. Angela Merkel redet lieber von „deutschen Interessen“, andere tun sich ebenfalls schwer. Man ist doch gerade erst modern geworden. Und nun zurück zu alten Worten?

Nun ließe sich die neue deutsche Welle leichthin, so wie es der SPD-Generalsekretär Klaus-Uwe Benneter mit einem böse-treffgenauen Wort getan hat, als „Verlegenheitspatriotismus“ abtun. Stimmt ja: Der Union geht es nicht gut, nachdem sie sich selbst von Umfragegipfeln in die Niederungen der demoskopischen Normalität gezankt hat. Auch fehlt dem Merkel’schen Reformprogramm seit längerem ein geistiger Überbau. Und dann verfällt die SPD auf die nassforsche Idee, den Nationalfeiertag zu verscherbeln – Gründe genug, warum der CDU und der CSU genau jetzt ihre vaterländische Gesinnung mal wieder lautstark einfällt. Mit dem Thema lässt sich beim Stammtischpublikum punkten, nebenher hält man Rechtsextreme niedriger.

So kann man das sehen, und ganz falsch ist es nicht. Nur, ganz so einfach ist es auch nicht. Die Renaissance des P-Worts auf parteitaktische Volten zu reduzieren, hieße, einige Veränderungen im geistigen Klima der Zeit zu ignorieren.

Die eine dieser Veränderungen läuft unter dem Stichwort „Abschied von Multikulti“. Wohlgemerkt – nicht von der multikulturellen Gesellschaft; die haben wir, ob wir das wollen oder nicht. Abschied aber von der bequemen Idee, ein friedliches Miteinander verschiedener Kulturen werde sich automatisch einstellen, wenn wir nur nett zu allen anderen sind. Die Anhänger dieser Theorie haben auf ihre Weise genauso die Augen vor der Realität verschlossen wie die Konservativen mit ihrem Abwehrzauber, wir seien kein Einwanderungsland.

Die zweite zentrale Veränderung läuft unter dem Stichwort „Globalisierung“. Nichts hat unsere Nachkriegsgewissheit, vergleichsweise im Paradies zu leben, so nachhaltig erschüttert wie die Erkenntnis, dass andere das Gleiche können wie wir, nur viel billiger.

Beide Entwicklungen begünstigen die Besinnung auf das, was unsere Gesellschaft zusammenhält, Patriotismus also im weitesten Sinne. Dahinter kann sich ein bloßer Fluchtreflex verbergen: Wer Angst vor den Fremden im eigenen und der Konkurrenz im anderen Land hat, verschanzt sich gern hinter übersteigertem Ich und Wir. Darin kann aber auch eine ganz vernünftige Idee stecken: Wer von Ausländern Integration verlangt, muss ihnen sagen können, in welche unserer deutschen Parallelkulturen sie sich denn einfügen sollen. Und wer will, dass Deutschland ökonomisch nicht immer weiter abbaut, wird an eine Gemeinschaftsanstrengung appellieren müssen.

Man könnte, ja man müsste also darüber reden, was Heimat, Identität, Deutschland einig Vaterland heute heißt. Ein intelligenter Patriotismus würde der Union sogar die Chance eröffnen, ein Stück von der kulturellen Hegemonie zurückzuerobern, die das rot-grüne Projekt des multimaxitoleranten Weltenbürgertums unter dem Zwang der Verhältnisse räumt. Doch was tun sie? Sie nehmen sich selbst nicht ernst. Sie spielen George W. Bush in Germany. Sie fordern mit gestrenger Oberlehrermiene Nationalhymnen in der Schule und Eidesschwüre im Einbürgerungsamt. Und das soll der neue Patriotismus sein? Der uns zu Vorbildern macht für unsere ausländischen Mitbürger und zu neuem Selbstbewusstsein verhilft im internationalen Wettbewerb? Süß und ehrenvoll, fürs Vaterland zu … singen? Wenn das alles ist, lieb Vaterland, da magst dann doch lieber ruhig sein.

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