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Politik: Paul Kirchhof und Dieter Grimm packen die Richterroben ein

Zwei Richter, die das Bild des Bundesverfassungsgerichts in den vergangenen Jahren geprägt haben, sind am Donnerstag verabschiedet worden: Paul Kirchhof und Dieter Grimm. Beide hatten maßgeblichen Einfluss auf wegweisende Entscheidungen des Gerichts.

Zwei Richter, die das Bild des Bundesverfassungsgerichts in den vergangenen Jahren geprägt haben, sind am Donnerstag verabschiedet worden: Paul Kirchhof und Dieter Grimm. Beide hatten maßgeblichen Einfluss auf wegweisende Entscheidungen des Gerichts.

Bevor Kirchhof 1987 zum Verfassungsrichter in Karlsruhe gewählt wurde, war er bereits als Professor an der Universität Münster und Heidelberg Experte für Steuer- und Europarecht. Als dann zu Beginn der neunziger Jahre die Zuständigkeit für das Steuerrecht vom Ersten in den Zweiten Senat wechselte und Kirchhof hierfür die Zuständigkeit erhielt, entwickelte das Gericht eine weit reichende, wenn auch nicht unumstrittene Steuerrechtssprechung. 1991 stellte der Zweite Senat klar, dass Zinseinkünfte ebenso wie andere Erträge versteuert werden müssen. Die Finanzämter durften fortan nicht mehr einfach darauf vertrauen, dass die Bundesdeutschen steuerehrlich sind und ihre Zinsen wahrheitsgemäß in ihrer Steuererklärung angeben, sondern mussten entsprechende Kontrollmaßnahmen einführen. Die heute üblichen Freistellungsaufträge, die jeder Sparer seiner Bank erteilen muss, sind Folge dieses Urteils.

Ein Jahr später entschied der Zweite Senat, dass nach der Einkommensteuer jedem Bürger das Existenzminimum verbleiben muss. Berichterstatter war Paul Kirchhof. Theo Waigel, damals Finanzminister in Bonn, nannte Kirchhof später "seinen teuersten Richter", denn der Staat hatte durch den zu erhöhenden Grundfreibetrag deutliche Steuerausfälle. 1995 folgte dann die weitest reichende und gleichzeitig umstrittenste Steuerentscheidung aus Karlsruhe. Obwohl das Gericht nur gefragt war, ob Immobilieneigentum steuerlich anders behandelt werden kann als Kapital - bei Grundstücken und Häusern wurde nicht der reale Verkehrswert, sondern der weit geringere Einheitswert zu Grunde gelegt - machte der Zweite Senat wesentlich weitergehende Ausführungen. Auf Vorschlag Kirchhofs wurde damals entschieden, dass Vermögenden nach Abzug aller Steuern die Hälfte verbleiben muss. Eine Auffassung, die innerhalb des Senats auf scharfen Widerspruch stieß. In einem Sondervotum bescheinigte der renommierte Verfassungsrichter und Staatsrechtler Böckenfoerde seinen Kollegen, sie beantworteten Fragen, die nicht gestellt worden seien und mischten sich in die Zuständigkeit des Gesetzgebers ein. Kirchhof selbst räumte in Interviews ein, dass er "gerne etwas bewegt". Nicht aber in Erfurt; das Angebot, dort den Aufbau der Universität zu leiten, hat er abgelehnt.

Dieter Grimm hatte zum Abschluss in Karlsruhe nochmals eine schlagzeilenträchtige Entscheidung zu treffen: den Fall Caroline von Monaco. Wieder ging es um die Abgrenzung zwischen Pressefreiheit und Persönlichkeitsschutz. Grimm und seine Kollegen entschieden für einen weitergehenden Schutz der Privatsphäre. Seit der Professor und Staatsrechtler Grimm im Juli 1987 von Bielefeld nach Karlsruhe kam, ist er für Fragen der Presse- und Meinungsfreiheit zuständig.

Mit der Rechtsprechung, die er in seiner zwölfjährigen Amtszeit wesentlich prägte, hinterlässt eine breite Spur. Gleich zweimal hatte er sich 1990 mit Angriffen auf den früheren bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß zu befassen. Demonstranten hatten die Aufschrift "Strauß deckt Faschisten" getragen, und ein Publizist bezeichnete den umstrittenen CSU-Chef als "Zwangsdemokraten". Beide Aussagen werteten die Gerichte als Beleidigungen, die die Grenzen der Meinungsfreiheit überschritten. Erst die Verfassungsbeschwerden hatten Erfolg. Der Vorwurf, Faschisten zu decken, besage noch nicht, der Politiker sei selbst ein Faschist, hieß es in der damaligen Entscheidung. Wenn ein Gericht das so interpretiere, müsse es diese Deutung begründen. Auch bei der Charakterisierung des Politikers als "Zwangsdemokrat" habe die Sache, nicht die Schmähung der Person im Vordergrund gestanden. Während der liberale Teil der Republik aufatmete, dass das Karlsruher Gericht das Wächteramt der Meinungsfreiheit übernommen hatte, wuchs bei den Gegnern der Groll.

Vier Jahre später sollte er sich mit Wucht entladen. Eine aus drei Verfassungsrichtern bestehende Kammer des Ersten Senats entschied, dass die Aussage "Soldaten sind Mörder" nicht umstandslos als Beleidigung von Bundeswehrsoldaten gewertet werden kann. Das berühmte Tucholsky-Zitat steht dann nicht unter Strafe, wenn es sich gegen das Soldatentum insgesamt, das Kriegshandwerk schlechthin richtet. Was damals das Gericht für eine wichtige, aber unspektakuläre Entscheidung hielt, wurde ein Tag später in Bonn zum Sprengsatz. Der Bundestag diskutierte in einer eilends angesetzten aktuellen Stunde; Klaus Kinkel, immerhin Freidemokrat und damals Außenminister, sprach vom Ende des Ehrenschutzes. Es sollte schlimmer kommen. Grimm wurde unverhohlen vorgeworfen, er habe quasi geputscht und statt den Fall in den gesamten Ersten Senat zu bringen, absichtlich nur eine mit drei Verfassungsrichtern besetzte Kammer mit der Entscheidung befasst.

Ein bösartiger Vorwurf, denn tatsächlich war der Fall rechtlich nicht neu, sondern ganz ähnlich wie die früheren Strauß-Entscheidungen gelagert. Damals zeigte sich ein ganz wesentlicher Charakterzug des Verfassungsrichters Grimm, nämlich mit Gelassenheit und Selbstbewusstsein selbst auf perfide Vorwürfe zu reagieren und beharrlich für die eigenen Überzeugungen über das Grundgesetz einzutreten. "Die Kritiker haben behauptet, bei mir sei der Ehrenschutz schlecht aufgehoben", sagt Grimm rückblickend. "Das stimmt nicht. Ich habe die ständige Rechtsprechung des Gerichts immer geteilt, dass Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrechte gleichwertig sind. Wohl aber wurde die Meinungsfreiheit bei den Fachgerichten lange Zeit geringer geschätzt als der Persönlichkeitsschutz." Seinen Nachfolger Wolfgang Hoffmann-Riem hält Grimm für eine gute Wahl. Er selbst wird nach Berlin kommen, um hier am Wissenschaftskolleg zu arbeiten und an der Humboldt-Universität zu lehren.

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